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Behindertenorientierte Zahnmedizin

Die zahnmedizinische Betreuung von Menschen mit Behinderung hängt individuell von der Art und dem Schweregrad der jeweiligen Beeinträchtigung ab. Einen einheitlichen Fahrplan für die Behandlung gibt es nicht. Der vorliegende Beitrag soll daher einen Überblick geben, welche generellen Faktoren in erster Linie beachtet werden sollten, welche Maßnahmen helfen können und welche Behandlungsformen es gibt, und damit dazu beitragen, das zahnmedizinische Versorgungsangebot für Personen mit Behinderungen zu verbessern.

von Dr. Peter Schmidt, Abteilung für Behindertenorientierte Zahnmedizin, Universität Witten/Herdecke
12.07.2018

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© Foto: gregorydean / Getty Images / iStock
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Wie es ist, als ZFA und ZMP in der behindertenorientierten Zahnmedizin zu arbeiten, erfahren Sie in unserem Interview mit Maritta Bevilacqua.

In Deutschland leben ca. 10 Millionen Menschen mit Behinderungen, wovon Ende des Jahres 2015 etwa 7,6 Millionen als schwerbehindert eingestuft wurden [1]. Eine Behinderung liegt vor, wenn Einschränkungen z. B. in den körperlichen oder geistigen Fähigkeiten oder der seelischen Gesundheit bestehen. Gesetzlich definiert wird eine Behinderung durch § 2 Abs. 1 SGB IX. Davon abzugrenzen sind Menschen, welche eine Pflegebedürftigkeit aufweisen.

Compliance ist der Schlüssel zum Erfolg

Eine international wichtige Stütze zur Verbesserung der Rechte von Menschen mit Behinderungen bietet seit 2006 die "UN-Convention on the Rights of Persons with Disabilities" [2]. Insbesondere § 25 beschreibt den Aspekt der Gesundheit und ist somit auch für die Zahnmedizin relevant. Darin verpflichten sich die Vertragsstaaten u. a. "(...) Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen (...) anzubieten". Außerdem soll Betroffenen auf die Behinderung spezifisch abgestimmte Gesundheitsleitungen angeboten werden. In diesem Paragrafen werden zur Vermeidung weiterer Beeinträchtigungen explizit auch Maßnahmen der Prävention erwähnt. Die Bundesrepublik Deutschland hat am 24.02.2009 mit der Ratifizierung der Konvention diese Rechte anerkannt und organisiert durch stetig aktualisierte nationale Aktionspläne die Umsetzung [3, 4] (Abb. 1).

Der behinderte Mensch oder Menschen mit Behinderung?

Noch immer ist häufig festzustellen, dass Unsicherheiten bestehen, welche Begriffe im Zusammenhang mit Behinderung verwendet werden sollen. In den letzten Jahren hat es sich zunehmend etabliert, von "Menschen mit Behinderungen" zu sprechen. Diese Formulierung wird von den Betroffenen selbst bzw. auch den Vertretungen der Betroffenen gefordert, da sie es als diskriminierend empfinden als "behinderte Menschen" bezeichnet zu werden. Ähnlich sensibel verhält es sich mit der Bezeichnung von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen oder Taubheit. Die Nennung der Betroffenen als "taubstumm", welches auch im ärztlichen Umfeld eine noch weit verbreitete Beschreibung darstellt, sollte durch "gehörlos" oder "schwerhörig" ersetzt werden. Spätestens seitdem in Deutschland die Gebärdensprache im Jahr 2002 die Anerkennung als eigenständige Sprachform erhalten hat, ist eine fehlende Lautsprache als "stumm" zu benennen, haltlos [5].

Barrieren abbauen

Die Unsicherheit der sprachlichen Formulierung ist letztendlich Ausdruck möglicher persönlicher Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Die innere Haltung des (Zahn-) Arztes und des Teams ist in der erfolgreichen Beziehung zum Patienten von großer Bedeutung und beeinflusst damit auch die Art und den Erfolg der Therapie. Wie nehme ich die Person mit Behinderung im Behandlungszimmer wahr? Wird dieser als Erster von mir begrüßt und rede ich mit ihm oder mit den Begleitpersonen über ihn hinweg? Bin ich gleich beim persönlichen "Du" oder wird ein Erwachsener mit Beeinträchtigung ebenso selbstverständlich mit "Sie" angesprochen wie jeder andere Erwachsene auch? Oder provokant anders gefragt: Würden Sie einen Patienten duzen, weil er eine Brille trägt oder eine Gehhilfe benutzt?

Praxistipp---

Bei jedem Termin sollten im Rahmen einer Kurz-Anamnese Veränderungen in den Lebensumständen von Menschen mit Behinderungen (z.B. Umzug, Wechsel von Bezugs-Betreuungspersonal, o.ä.) erfragt werden, weil auch derartige persönliche Veränderungen Auswirkungen auf die häusliche Mundhygiene haben können.

Ausgehend von diesen Überlegungen, die für das gesamte Praxisteam gelten, muss man sich fragen, welche Herausforderungen die Behandlung eines Menschen mit einer Behinderung für den Zahnarzt, sein Team und seine Praxisstruktur mit sich bringt. Eine Befragung unter Zahnärzten hat gezeigt, dass 80% der befragten Kollegen über eine schlechte bis fehlende universitäre Ausbildung im Bereich der Behindertenbehandlung berichten. Weiterhin wird die Behandlung dieser Patienten, unabhängig davon, ob es sich um Erwachsene oder Kinder handelt, als belastend empfunden [6, 7]. Das könnte möglicherweise an einem erhöhten Zeitaufwand sowie der daraus resultierenden unzureichenden Vergütung liegen. Auch ist ein großer Teil der Praxen nicht ausreichend auf die Behandlung dieser Patientengruppe vorbereitet. Daneben sind es häufig bauliche Gegebenheiten wie Treppenstufen oder zu schmale Türen, die eine Barriere für die Betroffenen darstellen. Leidtragende von solchen Situationen sind z. B. Patienten im Rollstuhl oder jene, die auf die Notwendigkeit eines Liegendtransportes angewiesen sind. Oft können sie nur bestimmte Zahnarztpraxen aufsuchen und so ihr Recht auf freie Arztwahl nicht unbeschränkt wahrnehmen. Dabei können bereits kleine Veränderungen, wie der Einsatz von kabellosen Fußanlassern, die Behandlung von Patienten mit Behinderungen, die z. B. auf einen Rollstuhl angewiesen sind, vereinfachen und ermöglichen (Abb. 2).

Mundgesund - genauso wie alle anderen Menschen auch?

Die Situation der Mundgesundheit von Menschen mit Behinderungen ist mit Blick auf die Grundbehinderung differenziert zu betrachten. Die wenigen bisherigen wissenschaftlichen Studien belegen, dass Menschen mit einer Behinderung eine höhere Karieserfahrung als Personen der Allgemeinbevölkerung im vergleichbaren Alter aufweisen [8-10]. Insbesondere Menschen mit geistiger Behinderung haben vergleichsweise häufiger unversorgte kariöse Läsionen oder mehr fehlende Zähne. Weiterhin konnte eine Studie mit Erfurter Schülern aufzeigen, dass bei Jugendlichen mit verschiedenen Grunderkrankungen deutliche Unterschiede im Sanierungsgrad der Gebisse vorliegen. So ist der Sanierungsgrad bei Jugendlichen mit einem Hörschaden höher als bei Jugendlichen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung [11]. Ähnliche Beobachtungen wurden bei Kindern mit verschiedenen Behinderungen in Bezug auf Erkrankungen des Parodontalapparates gemacht [12, 13]. Menschen mit einer neurologischen Störung, z. B. der Cerebralparese, haben Einschränkungen in der Koordination und Benutzung von Extremitäten wie Armen und Beinen. Verursacht wird dies durch Spastiken und Lähmungen und kann zu Schwierigkeiten beim Gehen und Laufen führen. Dies erklärt, warum bei dieser Personengruppe ein erhöhtes Risiko für Stürze besteht, was wiederum mit einem erhöhten Risiko für dentoalveoläre Traumata einhergeht [14].

Praxistipp---

Als ZMP sollte man sich immer offen fragen, ob man die professionelle Zahnreinigung eigenständig, nur mit Hilfe der Begleitperson/en oder nur in Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt durchführen kann. Diese Überlegung muss individuell für jeden Patienten in Abhängigkeit der Grunderkrankung und der eigenen Erfahrung getroffen werden.

Man kann aus o. g. Ausführungen erkennen, dass die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erhaltung einer guten Mundgesundheit je nach Behinderungsart und Schweregrad der Beeinträchtigung unterschiedlich sind. Ebenso vielfältig wie die Ursachen für z. B. eine geistige Behinderung sind die damit verbundenen Auswirkungen im Alltag für die betroffene Person und das soziale Umfeld. Folglich ist es nicht möglich, einen einheitlichen Fahrplan für die zahnärztliche Betreuung von Menschen mit Behinderungen zu erstellen.

In einem einzigen Fachbeitrag ist es jedoch nicht möglich, auf alle Wege der zahnmedizinischen Betreuung in Abhängigkeit von den verschiedenen Behinderungen einzugehen. Deshalb soll nachfolgend ein Überblick gegeben werden, welche Faktoren in erster Linie beachtet werden sollten, welche Maßnahmen helfen können und welche Behandlungsformen es gibt.

 Compliance - DER Indikator
für das zahnmedizinische Vorgehen bei Menschen mit Behinderungen

Die Voraussetzung für eine aussichtsreiche und erfolgreiche Behandlung ist die Zusammenarbeit von Zahnarzt und Patient. Die Kooperationsfähigkeit - Compliance - einer Person stellt die Weichen für jedes weitere therapeutische Vorgehen und wird in unserer Abteilung bereits in der ersten Sitzung eingeschätzt. Diese Einschätzung geht oft mit der Entscheidung für eine bestimmte Behandlungsform einher. Die klassische Behandlung im Wachzustand wird in unserer Klinik um die Möglichkeiten der Sedierung oder Allgemeinanästhesie erweitert. In Abhängigkeit von den eigenen personellen und strukturellen Ressourcen ist es wichtig, dass sich jeder Behandler für die invasive Therapie von Patientengruppen mit eingeschränkter oder fehlender Kooperation überlegt, wo seine Grenzen sind.

Befundung und Therapieplanung

In der ersten Sitzung wird immer als Minimalziel die intraorale Befundung angesetzt. Ob diese im Behandlungsstuhl, im Wartezimmer, im Rollstuhl oder im Stehen stattfindet, ist dabei untergeordnet. Der Ablauf der intraoralen Befunderhebung spielt jedoch für die weitere Planung eine wichtige Rolle. Bereits die orientierende Befundung liefert Informationen zum Gesundheitszustand des Mundraumes (Gingiva, Zunge, Zähne), die teilweise den weiteren Therapieverlauf skizzieren. Bei Behandlungsnotwendigkeit sollte versucht werden, die Kooperationsfähigkeit zu verbessern. Weiterhin sind während der Anamnese konkrete Fragen zur Akzeptanz von Brillen, Hörgeräten, Haarklemmen, Schmuck oder herausnehmbaren KFO-Geräten hilfreich, um ein umfassendes Verständnis zur Zugänglichkeit des Kopfes oder Mundes der Patienten zu erhalten. So kann eingeschätzt werden, welche Behandlungsaspekte und Teilschritte z. B. im Wachzustand durchführbar sind und welche nicht. Damit können die Therapieplanung und die möglichen Behandlungsformen vorläufig festgelegt werden. Mitunter ist es notwendig, die Therapie in Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen interdisziplinär und multizentrisch umzusetzen. Jeder Zahnarzt kennt die Möglichkeit der Überweisung zur operativen Entfernung der Weisheitszähne oder die Übernahme kieferorthopädischer Behandlungen durch Fachzahnärzte mit nachfolgender bzw. gleichzeitiger Weiterbehandlung durch den Hauszahnarzt. Bei der Durchführung von komplexen Behandlungen bei Menschen mit Behinderungen sollten Zahnärzte sich entsprechend an ihr kooperationsbasiertes Konzept erinnern und dieses auch für die konservierend-prothetischen Behandlungen anwenden.

Welche nichtinvasiven oder invasiven Behandlungsschritte kann ich durchführen?

Während es einerseits schwierig sein kann, bei einem Patienten einen nicht erhaltungswürdigen Zahn im Wachzustand zu extrahieren, kann es andererseits machbar sein, anschließend die prothetische Versorgung ohne Behandlung in Vollnarkose durchzuführen.

Praxistipp---
Es ist zu empfehlen, dass sich das Praxisteam am Tag vorher vergewissert, ob der Termin eingehalten werden kann. Diese Kontaktaufnahme wirkt dann gleichzeitig als Erinnerung an den Termin

Das Herausarbeiten des passenden Behandlungsweges für jeden Behandlungsschritt und die permanente Bestimmung der Compliance in jeder Sitzung ermöglichen eine umfassende zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit eingeschränkter Kooperation. In der Behandlung von Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Angstpatienten, ist dies bereits gelebte Praxis und lässt sich größtenteils auf Personen mit Behinderungen übertragen. Die Unterschiede zu den anderen o. g. Patientengruppen liegen darin, dass diese Einschätzung im gesamten zeitlichen Verlauf der Patientenbetreuung stattfinden muss, weil je nach Behinderung sowie Ausprägung der Behinderung und sogar je nach Tagesform die Compliance variieren kann.

Darüber hinaus ermöglicht die Nutzung spezieller Fingerlinge oder Mundsperrer, intraorale Kontrollen und invasive Behandlungen leichter durchzuführen. Diese Hilfsmittel sind thermodesinfizier- und sterilisierbar und können somit mehrfach verwendet werden (Abb. 2).

Prävention - mehr als Zähne putzen

Die Vorsorge beginnt wie bei jedem Menschen mit der Durchführung der täglichen Mundhygiene. Die fehlende oder unzureichende Selbstwirksamkeit von Personen mit körperlichen bzw. geistigen Beeinträchtigungen bedingt eine Unterstützung bei der Zahnpflege. Der Umfang der Unterstützung muss individuell festgestellt und seitens des Zahnarztes mit der pflegerischen Betreuung abgesprochen werden. Regemäßige Recall-Intervalle alle drei, vier oder sechs Monate sind empfehlenswert. Bei Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten in der Zahnpflege sollte die professionelle zahnmedizinische Betreuung durch den Zahnarzt intensiviert werden und ggf. der Zeitabstand zwischen den Kontrollen engmaschiger erfolgen. Weiterhin sind der Zahnarzt und sein Praxisteam gut beraten, sich eine Einverständniserklärung für die Aufnahme in das Recall-System geben zu lassen. Man sollte aber immer damit rechnen, dass es hier häufiger als bei anderen Patienten zu Terminabsagen kommt. Dies kann z. B. auf Schwierigkeiten bei der Beförderung durch einen Krankentransport oder kurzfristig fehlende Begleitung durch eine Betreuungsperson beruhen.

Individualprophylaxe - ein entscheidender Schlüssel zur Verbesserung der Mundgesundheit

Der Rückgang der Karies in der Allgemeinbevölkerung ist auf verschiedene Elemente der Kariesprophylaxe zurückzuführen. Die aktuelle 5. Deutsche Mundgesundheitsstudie bestätigt dies [16]. Wie bereits aufgezeigt wurde, haben Menschen mit Behinderungen bislang nur in unzureichendem Umfang davon profitiert. Das lässt sich auch daran erkennen, dass Kinder mit Behinderungen im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Behinderungen weniger Fissurenversiegelungen aufweisen [8, 11]. Diese Maßnahme zur Individualprophylaxe, welche als evidenzbasiert anzusehen ist, sollte gerade in Risikogruppen wie Kindern mit Behinderung konsequenter als bisher durchgeführt werden. So wie gesetzlich versicherte Kinder uneingeschränkt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Zugang zu den Maßnahmen der Individualprophylaxe haben, sollten auch Personengruppen mit bekanntlich erhöhtem Kariesaufkommen diese präventiven Maßnahmen über das 18. Lebensjahr hinaus zugänglich gemacht werden. Aktuell ist der erhöhte Zeitaufwand, beispielsweise durch wiederholte Sitzungen zur Kooperationsförderung oder durch die Notwendigkeit, prophylaktische Behandlungen auf mehrere Termine zu verteilen, abrechnungstechnisch nicht ausreichend abgebildet. Eine Verbesserung bietet das neue Präventionsgesetz, welches unter anderem Menschen mit Anspruch auf Eingliederungshilfe ab 01. Juli 2018 die Zahnsteinentfernung zweimal pro Kalenderjahr als kassenzahnärztliche Leistung gewährt [17].

Besonderheiten bei der Prophylaxe

Aufgrund der teilweise eingeschränkten Fähigkeit zur adäquaten Mundhygiene von Menschen mit z.B. geistigen Behinderungen ist eine strukturierte Unterstützung unabdingbar. Diesbezüglich ist die tägliche Unterstützung seitens der Eltern oder der pflegerischen Betreuer in den Wohneinrichtungen von der professionellen Unterstützung seitens des Zahnarztes oder des zahnärztlichen Personals zu unterscheiden. Das Zusammenwirken beider Säulen der strukturierten Unterstützung ist für das Gelingen unerlässlich. Insbesondere in der professionellen Betreuung sind engmaschige Termine notwendig, welche mindestens alle 3 Monate erfolgen sollten. Bei einigen Patienten ist auch ein Recall alle 8 oder gar 4 Wochen zu empfehlen, wenn die häusliche Zahn- und Mundpflege aktuell Schwierigkeiten bereitet. Die Ursachen solcher Schwierigkeiten können vielfältig sein, oft sind jedoch Veränderungen im Alltag des Patienten wie z.B. ein Wechsel von Bezugsbetreuern, ein Umzug oder gesundheitliche Einschränkungen nicht unbedeutend.

Daher sind die Abstände der Recall-Intervalle von Termin zu Termin individuell neu anzupassen. Empfehlungen für geeignete Terminintervalle zwischen zwei professionellen Zahnreinigungen, welche sich auf wissenschaftliche Studien stützen lassen, gibt es leider nicht [18]. Jedoch wurde eine sehr gute Anleitung zur strukturierten unterstützenden Mundpflege durch Schulte beschrieben. So empfiehlt Schulte, dass die Abstände in der Anfangsphase kürzer zu halten sind und die erste professionelle Reinigung durch den Zahnarzt selbst durchgeführt werden sollte.

Weiterführend kann das bedeuten, dass bei Patienten mit Behinderung, welche mit den Abläufen in der Praxis oder Klink vertraut sind und eine ausreichende Kooperation entwickelt haben, in den nachfolgenden Sitzungen die professionelle Betreuung auch durch eine erfahrene Prophylaxeassistenz übernommen werden kann. Das eigenständige Arbeiten einer ZMP allein in einem Behandlungszimmer führt zu teilweise anderen Abläufen und Möglichkeiten der professionellen Zahnreinigung bei Menschen mit Behinderungen.

Während eine PZR bei einem Menschen mit Trisomie 21 möglicherweise problemlos allein durchgeführt werden kann, ist dies bei einem Patienten mit Cerebralparese aufgrund der persistierenden Reflexe wie z.B. dem Schluckreflex deutlich erschwert. Der Einsatz von rotierenden Instrumenten ist entsprechend mit Rücksicht zu betrachten und an die Tagesform des Patienten anzupassen. Neben der Mundpflege steht stets der Aufbau oder die Beibehaltung der Kooperation für das zahnmedizinische Setting im Fokus. Mit Hilfe von Handpuppen und Modellen zur anfänglichen körperfernen Demonstration von Putztechniken sollte dies umgesetzt werden. Der schrittweise Übergang zu Tätigkeiten im Mund kann durch das Anfärben der Zähne und der Zahnbeläge mit Anfärbemitteln erfolgen. Ferner ist dieses wichtige Element der PZR sehr hilfreich für die Unterweisung der Begleitpersonen. So kann den pflegerischen Betreuern direkt gezeigt werden, an welchen Bereichen im Mund der Patient noch Unterstützungsbedarf hat und durch die Betreuer nachgeputzt werden sollte. An dieser Stelle wird die Notwendigkeit des wechselseitigen Zusammenwirkens der häuslichen und professionellen unterstützenden Mundhygiene bei Menschen mit Behinderungen am deutlichsten.

Zusammenfassung

Personen mit Behinderung stellen noch immer eine Herausforderung in der zahnärztlichen Praxis dar. Hier gilt es, bauliche und persönliche Barrieren abzubauen und auf die individuelle Kooperationsfähigkeit der Patienten einzugehen. Fortbildungen oder strukturierte Anleitungen, ähnlich der von Schulte beschriebenen Präventivbetreuung von Menschen mit geistiger Behinderung [18], können eine gute Unterstützung darstellen. Ferner sollte mit Blick auf eine gesamtzahnärztliche Behandlung für Menschen mit Behinderungen ein kooperationsbasiertes Behandlungskonzept etabliert werden, in dem die Möglichkeiten der Behandlung mithilfe von Sedierung oder in Allgemeinanästhesie einschließlich der interdisziplinären Zusammenarbeit berücksichtigt werden. Dabei sollte auch die Entwicklung des allgemeinen Gesundheitszustandes berücksichtigt werden. Dies bietet dem Zahnarzt die Grundlage, das gesamte zahnmedizinische Therapiespektrum (prophylaktische, konservierende, parodontologische, chirurgische, prothetische Behandlungen) für Patienten mit Behinderung anzubieten. Zur zahnmedizinischen Basisversorgung gehören hier auf jeden Fall engmaschige Kontrolluntersuchungen und regelmäßige Rücksprachen mit dem Betreuungspersonal, Angehörigen oder rechtlichen Vertretern über den Zustand der Mundhygiene.

Praxistipp---

Jede Zahnarztpraxis sollte sich ein Kooperationskonzept erarbeiten, das an die eigene Praxisstruktur angepasst ist und die persönliche Berufserfahrung mit berücksichtigt.

Praxistipp---

Elemente der Verhaltensführung, wie die klassische Tell-Show-Do-Technik, die sich bei der Behandlung von Kindern bewährt hat, Elemente aus der Hypnose oder der Einsatz von Akkupressurpunkten können die Compliance auch bei Menschen mit Behinderungen positiv beeinflussen [15].

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