Aktualisiert: Durchbeißen bis ins hohe Alter

"Alt ist man dann, wenn man nicht mehr zusammen mit seinen Zähnen schläft", sagte der Italiener Enzo Petrucci einst. Doch wie aktuell ist diese Aussage heutzutage?

von Dr. Alexandra Wolf, Zahnärztin und freie Autorin, Berlin
07.06.2021

Fortbildung 18-6 Alterszahnmedizin
© Foto: hedgehog94 / Getty Images/ iStock
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Die fortschreitende demografische Entwicklung zeigt, dass die Bevölkerung Deutschlands immer älter wird. Die Qualität der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung und das Bewusstsein für eigene Gesundheit und Lebensqualität nehmen zu. Dies wird auch durch die steigende Anzahl noch vorhandener eigener Zähne im hohen Alter sichtbar. Doch nicht immer gelingt es, diese selbstständig adäquat zu pflegen.

Die Ergebnisse der jüngst veröffentlichten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) zeigen, dass heute bei Senioren im Alter von 65 bis 74 Jahren nur noch jeder achte zahnlos ist, im Vergleich dazu war es 1997 jeder vierte Senior [1]. Gegenwärtig besitzen Patienten zehnmal häufiger Implantate als noch im Jahr 1997 [1]. Durch das noch vorhandene Restgebiss lässt sich festsitzender Zahnersatz besser verankern und der Gewinn an Zufriedenheit und Lebensqualität steigt.

Mit zunehmendem Alter verliert der Körper jedoch an Mobilität, und die Fähigkeit, feinmotorische Bewegungen (z. B. Zähneputzen) auszuführen, sinkt. Allgemeinerkrankungen körperlicher und geistiger Ursache nehmen zu. Daraus resultieren Einschränkungen im täglichen Leben und vor allem auch in der täglichen Mundhygiene. Oft führen weitere schwere Krankheiten zur Pflegebedürftigkeit. Nach den Ergebnissen der DMS V weisen ältere Menschen mit Pflegebedarf eine höhere Kariesaktivität, weniger eigene Zähne und häufiger herausnehmbaren Zahnersatz auf als die gesamte Altersgruppe der 75- bis 100-Jährigen [1]. Grund dafür ist eine mangelnde Mundhygiene bei pflegebedürftigen Menschen, denn fast 30 % dieser Personengruppe sind nicht in der Lage, ihre Zähne oder ihren Zahnersatz eigenständig zu reinigen. Auch einen Zahnarzttermin zu organisieren und die Praxis aufzusuchen, können 60 % der Personen mit Pflegebedarf nicht mehr selbstständig bewältigen [1].

Die DMS V schlussfolgert, dass durch ein frühes zahnärztliches Präventionsmanagment die Mundgesundheit im hohen Alter langfristig erhalten werden kann. Doch wie lassen sich der Zahnersatz und Restzahnbestand im hohen Alter gezielt pflegen, und mit welchen Schwierigkeiten können Zahnärzte und zahnmedizinisches Fachpersonal bei der Behandlung konfrontiert werden?

Grunderkrankungen und Medikation

Die häufigste Grunderkrankung bei über 65-Jährigen ist arterielle Hypertonie, gefolgt von Knochen- und Gelenkerkrankungen, außerdem Herzerkrankungen und Diabetes, dabei hauptsächlich Diabetes Typ 2 [2,3]. Fast 80 % der älteren Menschen sind auf die Einnahme von Arzneimitteln angewiesen [4,5]. Größtenteils werden Blutverdünner, Diuretika, Antihypertonika, Schmerzmittel, Antidepressiva oder orale Antidiabetika verschrieben. Leider wirken sich sehr viele dieser Medikamente negativ auf die Speichelsekretionsrate aus und führen zu Mundtrockenheit. Mittlerweile gibt es mehr als 400 Medikamente, die mit Xerostomie assoziiert sind [6]. Die Folgen von Xerostomie sind eine erhöhte Kariesprävalenz (vor allem an bestehenden Restaurationen oder freiliegenden Wurzeloberflächen), Schleimhautläsionen und Schwierigkeiten beim Schlucken, Sprechen und Kauen [7]. Abhilfe verschafft, den ganzen Tag über viel zu trinken, z. B. Wasser oder andere zuckerfreie Getränke, und den Speichelfluss durch Zahnpflegekaugummis und zuckerfreie Lutschpastillen anzuregen [8].

Mundtrockenheit: Ursache weiterer Erkrankungen

Eine weitere häufige Nebenwirkung ist die medikamenteninduzierte Gingivahyperplasie bei Verwendung von Präparaten wie dem Immunsuppressivum Cyclosporin A, dem Kalziumkanalblocker Nifedipin oder dem Antikonvulsivum Phenytoin [9,10]. Die verdickte Gingiva führt beim betroffenen Patienten zu einer erschwerten Mundhygiene [11].

Veränderungen im Kauorgan

In der Mundhöhle lassen sich altersbedingte Begleiterscheinungen beobachten. Im Zahnschmelz treten zunehmend Farbveränderungen auf. Die Zähne färben sich gelbgrau, aber auch Sprünge und Risse im Schmelz werden sichtbar. Deutlich erkennbar sind Attritionen und Abrasionen im Alterszahngebiss sowie flächigere Approximalkontakte. Wichtig ist zu bedenken, dass der Zahnschmelz beim Ätzen im Vergleich zur Zahnsubstanz in einem jungen Gebiss eine geringe Löslichkeit aufweist [7]. Des Weiteren kann man bei älteren Patienten häufig freiliegendes Dentin beobachten mit geringerer Permeabilität, Pigmenteinlagerungen und einer Verengung der Dentinkanälchen. Die parodontal freiliegenden Zahnhälse bzw. Zahnwurzeln sind weniger resistent als unter dem geschützten Schmelzmantel, es besteht erhöhte Kariesanfälligkeit und Abnutzung durch mechanische Einwirkungen. Histologisch lässt sich eine verkleinerte Pulpakammer erkennen, die Sensibilität der Pulpa ist verringert und oft lassen sind Kalzifizierungen im Röntgenbild feststellen [7]. Die Zellzahl im Pulpengewebe nimmt ab, ebenso die Anzahl der Blutgefäße und Nerven, was wiederum zu einer verminderten Leistungsfähigkeit führt [12].

Zum gesamten Strukturapparat gehört auch die Muskulatur. Bei älteren Menschen ist diese etwas atrophiert und verliert an Kontraktilität. Die Elastizität des Bindegewebes und die Fibroblastenanzahl nehmen ab [7]. Auch der Knochen atrophiert und die Osteoporosegefahr nimmt zu. Der altersbedingte Abbau des Knochens und der Kaumuskulatur kann eine Umstellung der Ernährung zur Folge haben, bei der vorwiegend weichere Nahrung konsumiert wird. Dies wiederum kann auf lange Sicht zum weiteren Rückgang der Kaumuskulatur führen und sich negativ auf den gesamten Kauapparat ausüben [13].

Endodontische Behandlungen

Bei älteren Patienten sind prinzipiell keine gravierenden Unterschiede im Vergleich zu jüngeren hervorzuheben. Generell wird angeraten, bei älteren Patienten auf eine direkte oder indirekte Überkappung der Pulpa zu verzichten, da das Regenerationspotenzial der Pulpa stark reduziert ist [14].

Es ist ratsam, bei einer bevorstehenden endodontologischen Behandlung das Ausgangsröntgenbild genau zu studieren und auf vorliegende Kalzifizierungen zu untersuchen. Extrem obliterierte Kanäle oder anatomische Besonderheiten können eine lange Behandlungsdauer erfordern. Es empfiehlt sich daher, vor Beginn den Patienten genau über die Behandlungsdauer, die Anzahl der Sitzungen und die Erfolgsaussichten aufzuklären. Ebenso muss je nach körperlichem und psychischem Gesamtbild eingeschätzt werden, ob Kofferdam und eine prolongierte Liegedauer geduldet werden [7].

Grundsätzlich sollte am Anfang der Wurzelkanalbehandlung eine sorgfältige Anamnese durchgeführt werden. Vor allem bei Diabetikern ist zu bedenken, dass die Wundheilung im periapikalen Bereich etwas reduzierter sein kann.

Implantation

Immer mehr Menschen entscheiden sich für Implantate oder implantatgestützten Zahnersatz im hohen Alter. An sich lassen sich Implantate in jedem Lebensalter als adäquater Ersatz eines natürlichen Zahns inserieren, jedoch können bestimmte Grunderkrankungen wie Diabetes oder Osteoporose die Prognose verschlechtern [12]. Darüber hinaus gestalten sich die Pflege und Reinigung der präzisen Implantate oft schwer. Die Gefahr der periimplantären Mukositis und der Periimplantitis steigt. Beides sind bakteriell verursachte Entzündungsprozesse. Bei der periimplantären Mukositis beschränken sich die Entzündungen auf das Weichgewebe und dies ist reversibel, analog zur Gingivitis [15]. Sobald der umgebende Knochen in das Entzündungsgeschehen involviert ist und eine Osteolyse ausgelöst wird, lautet die Diagnose Periimplantitis [15-17]. Dies ist eine entzündliche Erkrankung des periimplantären Hart- und Weichgewebes, die später zu einem Verlust des Implantats führen kann. Häufig manifestiert sich eine Periimplantitis erst nach dem Überschreiten der 5-Jahres-Kontrolle [15]. Genau wie die Parodontitis wird die Periimplantitis durch bakterielle Plaque im submukosalen Biofilm verursacht, ein sich meist langsam entwickelnder Prozess [15]. Somit ist es ratsam, vor Implantation besonders den älteren Patienten über eine lebenslange professionelle Unterstützung der individuellen Mundhygiene aufzuklären. Nur mit einer gründlichen Plaquekontrolle und mechanischen Entfernung harter und weicher Beläge, anschließender Politur und einer gegebenenfalls antiseptischen Behandlung durch lokal applizierte Chlorhexidingels und/oder Spülungen ist periimplantären Entzündungsprozessen vorzubeugen [15,18]. Zum Schutz der Implantatoberfläche sollten spezielle nichtmetallische Implantatküretten eingesetzt werden.

Implantatverluste können aber auch durch Überbelastung hervorgerufen werden. Außerdem treten bei älteren Patienten höhere Komplikationen während der Einheilung auf und eine ausbleibende Osseointegration kann beobachtet werden [15].

Säulen der Prophylaxe

Prophylaxemaßnahmen sollten bis ins hohe Alter weitergeführt werden, um die eigenen Zähne und den Zahnersatz langfristig zu erhalten. Dazu zählen die regelmäßige Mundpflege und der Einsatz von Hilfsmitteln für den Interdentalraum und zur Zungenreinigung. Während in der Altersgruppe der 60-Jährigen ein gut ausgeprägtes Bewusstsein für Mundhygiene und deren Umsetzung herrscht, sind Patienten im fortgeschrittenen Alter (70- und 80-Jährige) aufgrund ihrer Beeinträchtigungen schwerer dafür zu gewinnen [19].

Oft erschweren motorische Einschränkungen wie Morbus Parkinson, Arthrose an Finger- und Handgelenken oder Schlaganfälle die eigenständige Zahnpflege [20]. Patienten, die kognitive Ursachen wie Demenz oder geistige Behinderungen aufweisen, können eine selbstständige Mundhygiene gar nicht oder nur eingeschränkt umsetzen [20]. Die Verantwortung für Mundhygienemaßnahmen wird daher schrittweise von Angehörigen und Pflegekräften übernommen. Diese sind häufig mit dieser Aufgabe überfordert und haben im alltäglichen Pflegeablauf nicht ausreichend Zeit [20]. Dennoch ist hier ein großer Unterstützungsbedarf seitens des Pflegepersonals in entsprechenden Einrichtungen, bei der häuslichen Krankenpflege oder bei der Pflege von Angehörigen gefordert. Zur Festlegung individueller Mundhygienemaßnahmen wurde eine Mundhygiene-Pflegeampel nach Torben Wenz entwickelt [21,22]. Dieser kompakte Mundhygieneplan bietet dem Pflegepersonal Hilfe für die individuelle zahnmedizinische Versorgung und kann kostenlos auf der Internetseite der Zahnärztekammer Berlin oder der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) heruntergeladen werden (Abb. 1).

Motorische Einschränkungen erschweren für viele ältere Patienten das Greifen der Zahnbürste. Elektrische Zahnbürsten haben konstruktionsbedingt einen dickeren Griff und sorgen für eigenständige Putzbewegungen [20]. Wer die gewohnte Handzahnbürste weiterhin einsetzen möchte, kann in Apotheken spezielle Griffverstärkungen erhalten. Um eine ausreichende Reinigungswirkung zu gewährleisten, sollte die Zahnbürste nach jedem Gebrauch gründlich mit Wasser ausgespült und nach zwei bis drei Monaten ausgetauscht werden.

Doch herausnehmbarer Zahnersatz muss genauso gepflegt werden, da sich auch hier Plaque und Zahnstein ablagern können [20]. Es empfiehlt sich, eine Prothesenreinigung nach jeder Mahlzeit durchzuführen. Die Prothese sollte unter klarem Wasser abgespült und mit einer Prothesenbürste gereinigt werden. Vorsicht ist vor chemischen Reinigungsmitteln oder Zahnpasta geboten, diese können die empfindliche Oberfläche der Prothese angreifen und verkratzen [8]. Zusätzlich kann die Prothese zwei- bis dreimal pro Woche in einer Lösung mit Reinigungstabletten desinfiziert werden [20].

Des Weiteren sind für den langfristigen Erhalt der eigenen Zähne eine zahngesunde Ernährung sowie der Einsatz von Fluoriden in Zahnpasta und Speisesalz anzuraten. Hervorzuheben ist auch eine regelmäßige halbjährliche zahnärztliche Kontrolluntersuchung. Es empfiehlt sich, dem Patienten vor dem Praxisbesuch mitzuteilen, neben der elektronischen Gesundheitskarte eine Medikamentenliste und die Kontaktdaten des Hausarztes mitzubringen. Patienten mit einem rechtlichen Betreuer sollten gebeten werden, sich eine Vollmacht oder eine Betreuungsurkunde aushändigen zu lassen [20].

Neben der regelmäßigen Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienstleistungen ist die professionelle Zahnreinigung (PZR) seit Jahren eine bewährte Präventivmaßnahme, wie die DMS V unterstreicht [1]. Diese Intensivreinigung beugt effektiv Karies und Parodontitis vor. Viele Senioren stehen jedoch vor einigen Hindernissen, den Termin zur professionellen Zahnreinigung auf sich zu nehmen. Oft erschweren bauliche Gegebenheiten den barrierefreien Zugang zur Hauszahnarztpraxis. Darüber hinaus übersteigen mehrmalige Prophylaxesitzungen im Jahr die monetären Ausgaben vieler älterer Patienten mit geringen Renten. Um den Patienten dennoch zur Wahrnehmung regelmäßiger professioneller Mundhygienemaßnahmen zu motivieren, könnten Praxen als Alternative auf Ausbildungszentren für zahnmedizinische Prophylaxeassistenten (ZMP) aufmerksam machen, wie beispielsweise das Philipp-Pfaff-Institut in Berlin. Wer sich hier in der Aufstiegsfortbildung den angehenden ZMP als Patient zur Verfügung stellt, muss zwar etwas mehr Zeit einplanen, erhält aber eine vergleichsweise sehr günstige individuelle Zahnreinigung während einer fachmännischen Aufsicht bei Verwendung neuer Techniken und weiterentwickelter Materialien. Zahnärztliche Behandlungen finden nicht statt, sodass der Patient weiterhin bei seinem Hauszahnarzt in Behandlung bleibt.

Das zahnmedizinische Praxispersonal sollte seinen älteren Patienten bewusst machen, dass mit fortschreitendem Alter eine optimale Mundhygiene nachlässt. Daraus resultieren wiederum die Zunahme von Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparats. Nur durch regelmäßige Zahnarztbesuche sowie frühzeitige Diagnostik von Karies, Gingivitis, Parodontitis und Periimplantitis können Symptome frühzeitig erkannt und entsprechende therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden, um das Fortschreiten oraler Erkrankungen zu vermeiden. Aufgrund der Multimorbidität sollte immer an eine Rücksprache mit dem Hausarzt bezüglich antibiotischer Abschirmung und Endokarditisprophylaxe gedacht werden.

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