Alkohol in der Schwangerschaft: Wie Ärzte helfen können

Viele Kinder werden durch Alkohol in der Schwangerschaft schwer geschädigt. Bei der Prävention und Früherkennung sind Ärztinnen und Ärzten gefragt.

von von K. Neumayr und V. Schmidt und M. N. Landgraf
01.02.2023

Trotz aller Warnungen ist Alkohol bei Schwangeren weit verbreitet.
© Foto: Rafael Ben-Ari / Fotolia
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Alkohol wird weitgehend bagatellisiert. Darunter müssen auch viele Menschen leiden, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Jedes Jahr werden in Deutschland mehrere Tausend Kinder geboren, die durch Alkohol in der Schwangerschaft geschädigt worden sind. Trotzdem ist Alkohol bei Schwangeren weit verbreitet, wie die Studie „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ (GEDA) schon 2012 ergeben hat.

Danach konsumieren 20 Prozent der Schwangeren Alkohol in moderaten und 7,6 Prozent in riskanten Mengen. Die Folge: 1,77 Prozent der Kinder bei uns werden laut aktueller statistischer Schätzung mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (fetal alcohol spectrum disorder, FASD) geboren (BMC Med 2019; 17:59). Es handelt sich damit um eine der häufigsten bei Geburt bestehenden, chronischen Erkrankungen. Und trotz schwerer Folgen mit oft lebenslanger Behinderung wird FASD in Deutschland deutlich unterdiagnostiziert.

Mit FASD können Wachstumsstörungen, Organmalformationen, faziale Auffälligkeiten sowie Beeinträchtigungen der Struktur oder Funktion des Zentralen Nervensystems verbunden sein. Im Alltag fallen unter anderem Störungen von Intelligenz, Sozialverhalten, Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen, Lern- und Merkfähigkeit sowie visuell-räumlicher Orientierung auf. Das Spektrum an Symptomen ist breit und individuell, Beeinträchtigungen treten aber in allen Altersstufen auf.

Diagnosestellung bei Erwachsenen oft erschwert

Die meisten Betroffenen können auch im Erwachsenenalter kein selbstständiges Leben führen und brauchen Unterstützung, wie kleinschrittige Begleitung bei Aufgaben im Arbeitsalltag oder eine externe Strukturierung des Tagesablaufs (Dtsch Arztebl Int 2008; 105: 693). Phänotypische Auffälligkeiten gehen im Erwachsenenalter häufig zurück, was eine Diagnosestellung in diesem Lebensstadium oft erschwert. Insbesondere weil eine frühe Diagnose im Kindesalter das Langzeit-Outcome der Betroffenen verbessert, ist eine Sensibilisierung aller relevanten Ärztinnen und Ärzte sowie anderer Fachkräfte für eine korrekte Früherkennung essenziell.

Wir stehen Ihnen oder Ihren Patienten und Patientinnen (auf Wunsch auch pseudonymisiert) für Fragen oder Unterstützung zur Verfügung:fasd@med.uni-muenchen.de.

Umfangreiche Informationen für Fachpersonal gibt es unter:www.deutsches-fasd-kompetenzzentrum-bayern.de.

Therapeutische Ansätze konzentrieren sich auf symptomorientierte, psychologisch-pädagogische Therapie- und Förderformen wie Heilpädagogik, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Psychotherapie. Diese müssen individuell und in interdisziplinärer Zusammenarbeit an die jeweiligen Bedürfnisse und das neuropsychologische Profil der Patientinnen und Patienten angepasst und regelmäßig re-evaluiert werden.

Ein hoher Alltagsbezug sowie die Einbeziehung der Eltern in die Therapie haben sich dabei als hilfreich erwiesen. Ebenfalls wichtig ist Psychoedukation, um Betroffenen zu einem besseren Verständnis ihres Krankheitsbildes zu verhelfen sowie das Umfeld entsprechend aufzuklären und dadurch eine Veränderung von dessen Erwartungshaltung an das Kind zu bewirken. Begleitend wird medikamentös therapiert, etwa mit Medikamenten, die in der Therapie von ADHS Anwendung finden, oder mit Neuroleptika bei Verhaltensstörungen und Schlafstörungen (hier als erste Wahl jedoch Schlafhygiene und Melatonin) (Eur J Paediatr Neurol 2021; 33:50).

Eine „sichere Menge an Alkohol“ gibt es nicht!

Die pränatale alkoholtoxische Schädigung der Gehirnentwicklung ist trotz Neuroplastizität und der dadurch möglichen Therapieeffekte irreversibel – es existiert keine kausale Therapie. Umso wichtiger ist die Prävention.

In der Schwangerschaft gibt es keine sichere Menge an Alkohol und keinen sicheren pränatalen Zeitpunkt, bei denen eine Schädigung des Fötus ausgeschlossen ist. Deshalb sollten Frauen während der gesamten Schwangerschaft vollständig auf Alkohol verzichten.

Die Gründe für Alkoholkonsum sind vielfältig. Neben Nicht- oder Spät-Erkennen der Schwangerschaft und Unwissenheit über die potenziell sehr schwerwiegenden Folgen bereits geringer Mengen an Alkohol für das ungeborene Kind, spielen auch persönliche Faktoren der Schwangeren wie psychische Stabilität oder psychiatrische Grunderkrankungen, aber auch das soziale Umfeld eine Rolle. Dabei greifen Frauen aus höheren sozioökonomischen Schichten oder bei ungeplanter Schwangerschaft oder auch bei Konsum des Partners/der Partnerin häufiger zu Alkohol (Alcohol Clin Exp Res 2022; 46: 797 und Drug Alcohol Rev. 2022; 41: 759). Dass jegliches alkoholische Getränk vermieden werden sollte, wissen viele Schwangere nicht: Radler ist keine ungefährliche Erfrischung und Bier ist kein geeignetes Nahrungsmittel in der Schwangerschaft!

Es gibt viele Möglichkeiten zur Primärprävention. Für den Unterricht in Schulen wurde zum Beispiel das Medienpaket „Blau im Bauch“ des Projektes „Wigwam Zero“ zusammengestellt (www.wigwamzero.de). In der Pädiatrie lässt sich die Prävention beispielsweise in die Jugendgesundheitsuntersuchungen (J1, J2) integrieren. In Gynäkologie und Allgemeinmedizin ist die Aufklärung in der regulären Patientenversorgung gefragt.

Die Öffentlichkeit wird mit Kampagnen wie „Alkohol? Kenn dein Limit“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) angesprochen (www.kenn-dein-limit.de/alkoholverzicht/alkohol-in-der-schwangerschaft). Das Angebot richtet sich an werdende Eltern sowie Freunde, Freundinnen und Angehörige. Für Fachkräfte gibt es dort Infomaterial wie Flyer zur Auslage in der Praxis. Informationen, ein Quiz und Videos für Kinder, Jugendliche und Erwachsene hat die Patientenvertretung FASD Deutschland zusammengestellt in der Kampagne „Du kennst die Antwort. Schwanger? Nur alkoholfrei!“ (https://dukennstdieantwort.de/).

Offenes Gespräch verbessert die Vertrauensbasis

Die Prävention bei Schwangeren muss universell und selektiv durchgeführt werden. Risikofaktoren wie Drogenkonsum, psychosoziale Schwierigkeiten und fortgesetzter Alkoholkonsum sind zu berücksichtigen. Gefragt sind vor allem Ärztinnen und Ärzte in der Allgemeinmedizin, Gynäkologie oder Suchtmedizin. Eine niederschwellige App-basierte Maßnahme für Frauen mit Risikoprofil ist das Programm „IRIS“ zur Unterstützung der Alkohol- und Nikotinabstinenz, das die BZgA und die Universität Tübingen entwickelt haben (Geburtshilfe Frauenheilkd. 2016; 76: 1163).

Trotz vieler Präventionsprojekte scheint die Aufklärung über Alkoholkonsum in der Schwangerschaft in Deutschland weiterhin nicht allumfassend und ubiquitär zu gelingen. Das liegt zum Teil auch daran, dass es vielen Ärztinnen und Ärzten unangenehm ist, mit werdenden Eltern darüber zu sprechen. Aus unserer Erfahrung führt aber ein offenes, nicht-stigmatisierendes Gespräch nicht zu einem Beziehungsabbruch, sondern eher zu einer verbesserten Vertrauensbasis.

Gerade weil FASD durch Alkoholabstinenz verhindert werden kann, muss die Aufklärung in der Öffentlichkeit, aber auch unter Fachkräften, intensiviert werden. Tragen Sie dazu bei, indem Sie in Ihrer ärztlichen Arbeit Ihr Wissen über die hohen Risiken pränataler Alkoholexposition für das Kind parat haben und weitervermitteln!

Die Autorinnen arbeiten in der Abteilung für Pädiatrische Neurologie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie, LMU Zentrum für Entwicklung und komplex chronisch kranke Kinder – iSPZ Hauner, Deutsches FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern, Dr. von Haunersches Kinderspital, LMU Klinikum – LudwigMaximilians-Universität München.

Quelle: Ärzte Zeitung

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