Der Kariesprophylaxe auf den Zahn gefühlt

Bei Kindern unter drei Jahren ist der Kampf gegen Karies nicht allzu erfolgreich. Über die richtige Strategie streiten Zahnärzte und Kinderärzte.

von Von Raimund Schmid
27.10.2018

Wie kann man die Zahn-Vorsorge bei Kleinkindern verbessern? Pädiater beraten darüber auf ihrem Kongress.
© Foto: Oksana Kuzmina / Fotolia
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 Es ist schon viele Jahre her, seitdem die Emotionen bei einem Kinder- und Jugend-Kongress das letzte Mal so hochgekocht sind wie beim Herbstkongress 2018 der Pädiater in Bad Orb. Streitobjekt war die Kariesprophylaxe, bei der Zahnärzte den Pädiatern vorwerfen, ein "Schlachtfeld" aufzumachen, das sie mit der von ihnen favorisierten Prophylaxe mit Fluoridtabletten gar nicht gewinnen können.

Die Kinder- und Jugendärzte ihrerseits sehen die Zahnärzte auf einer Showbühne, auf der sie mit vielen Zahlen beliebig hin und her jonglieren, aber mit der von ihnen verfolgten Prophylaxe-Strategie mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta in der Praxis kläglich scheitern würden.

Prophylaxe "kein Erfolgsrezept"

Dabei geht es bei der Kontroverse ausschließlich um die Karieshäufigkeit der Milchzähne im Kleinkindalter. Denn der Kariesbefall im bleibenden Gebiss von Kindern ist seit 1978 kontinuierlich rückläufig. Bis zum Alter von drei Jahren ist aber die Kariesprophylaxe hierzulande "kein Erfolgsrezept", stellte Professor Christian Splieth, Leiter der Abteilung präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde an der Uni Greifswald, in Bad Orb fest.

Die Folgen sind gravierend: Die Milchzähne von 14 Prozent aller Kinder in Deutschland seien so "kaputt", dass sie nur sehr aufwändig und unter Narkose behandelt werden könnten. "Wir haben bei uns und woanders die Hütte voll mit solchen Kindern!"

Betroffen seien insbesondere Kinder aus armen und eher bildungsfernen Familien, die eben gerade auch bei Kinder- und Allgemeinärzten aufschlagen. 80 Prozent des starken Kariesbefalls im Alter von drei Jahren entfallen genau auf diese Bevölkerungsschichten.

Mitentscheidend hierfür sei es, dass in diesen sozial benachteiligten Schichten die Mütter oft selbst Karies hätten, gehäuft süßer Tee und Honig konsumiert werde und auch das Naschen zwischendurch sehr verbreitet sei. Beim Dauernuckeln an einer Flasche könne sogar Wasser die Zähne zerstören.

Vorbild Mecklenburg-Vorpommern

Dagegen, so Splieth, helfe nur eine Prophylaxe-Strategie: den Kindern ab dem ersten Zahn einmal täglich die Zähne mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta zu putzen, ab dem zweiten Geburtstag dann zweimal täglich. In Mecklenburg-Vorpommern habe sich diese Strategie bestens bewährt. Seit 1996 sind dort laut Splieth bei den Dreijährigen 33 Prozent weniger Karies und bei den Sechs- bis Zehnjährigen sogar 80 Prozent weniger Kariesfälle aufgetreten.

Die von Pädiatern gerne verordneten Fluorid/Vitamin-D-Tabletten seien in Mecklenburg-Vorpommern praktisch von der Bildfläche verschwunden, worunter allerdings die reine Vitamin-D-Prophylaxe nicht gelitten habe. Auch unter den Hebammen werde diese Strategie inzwischen "promotet", behauptete Splieth in Bad Orb. Umstritten sei lediglich die eher niedrige Dosis des Fluoridgehalts, die nur halb so hoch ist wie etwa in Dänemark, dem Land mit den niedrigsten Karieswerten überhaupt.

Das konnte allerdings den Kinder- und Jugendarzt Dr. Burkhard Lawrenz, Sprecher des Ausschusses Prävention im Kinder- und Jugendärzteverband (BVKJ), ganz und gar nicht überzeugen. Er verteidigte die Strategie der Mehrheit der Pädiater, bereits ab dem achten Lebenstag bis zum "zweiten erlebten Frühsommer des Kindes" eine kombinierte Karies-Rachitis-Prophylaxe zu verfolgen mit 0,25 mg Fluorid und 500 i.E. Vitamin-D in Tablettenform einmal täglich, ergänzt durch Zähneputzen mit normaler Zahnpasta einmal täglich.

Diese Form der Fluoridanwendung habe sich in der Praxis vor allem deshalb bewährt, weil so die nötige Fluoridgabe gerade bei Kindern aus prekären Familien, in denen das Zähneputzen in der frühen Kindheit nicht gang und gäbe ist, gesichert sei. Genau diesen entscheidenden Aspekt würden die Zahnärzte aber immer wieder ausblenden.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat bislang keiner der beiden Methoden seine Absolution erteilt, da die Evidenzlage ungenügend und eine prospektive Studie überfällig sei. Einig sind sich beide Seiten lediglich darüber, dass Aufklärung und Zahnputztraining vom ersten Zahn an unabdingbar sind. Dringend überfällig sei die Neufassung der seit 2013 bestehenden Leitlinie.

Nach den heftigen Wortgefechten in Bad Orb ist eine einheitliche Linie weiter entfernt denn je. Die Ärzte werden also wohl vergeblich darauf hoffen, in naher Zukunft verlässliche und konsensfähige Prophylaxe-Empfehlungen an die Hand zu bekommen.

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