Flossen, bis der Kardiologe kommt?

Mit seiner täglichen Routine hatte es der ältere Herr aus dem US-Bundesstaat Texas wohl übertrieben. Er fädelte jedesmal so heftig, dass sein Zahnfleisch blutete. Damit leistete er wohl einer Bakteriämie Vorschub, die in seinem Fall ernste kardiologische Konsequenzen hatte.

von Dr. Elke Oberhofer
13.02.2021

Nahaufnahme Mund: Frau benutzt Zahnseide
© Foto: StudioLaMagica / stock.adobe.com
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Beunruhigend für den 63-jährigen Patienten war erst einmal nur das hartnäckige Fieber, welches nachts auf bis zu 39,4°C anstieg. Nach drei Wochen stellte er sich in der Notaufnahme vor. Dort rätselte man über die Ursache: Beim Zahnarzt war der Patient in letzter Zeit nicht gewesen, auch nicht zur Koloskopie. Er nahm keine Drogen, trank nicht übermäßig Alkohol und seine Nieren waren in Ordnung. Hautläsionen zeigte er nicht und auch sonst keine auffälligen Symptome. Die Auskultation des Herzens war unauffällig, ebenso das EKG und eine Röntgenaufnahme vom Thorax.

Ursache: Streptokokken

Das Labor zeigte allerdings Hinweise auf ein Entzündungsgeschehen, sodass man sich zu einer kalkulierten antibiotischen Therapie mit Vancomycin und Piperacillin/Tazobactam i.v. entschloss. Drei zu verschiedenen Zeitpunkten im Abstand von 15 Minuten abgenommene Blutkulturen ergaben schließlich eine Infektion mit Streptococcus gordonii.

Der Verdacht auf eine infektiöse Endokarditis (IE) als mögliche Fieberursache wurde dadurch erhärtet, sodass die Kardiologen sowohl ein transthorakales (TTE) als auch ein transösophageales Herzecho (TEE) durchführten. Letzteres offenbarte eine kleine Vegetation auf dem hinteren Segel der Mitralklappe.

Nach einem Empfindlichkeitstest wurde die antibiotische Therapie auf Gentamycin (242 mg i.v. alle 24 h) und Penicillin G (24 Mio. Einheiten als kontinuierliche Infusion) eingeengt. Darauf sprach der Erreger an. Nachdem in der Blutkultur am dritten Tag keine Streptokokken mehr nachgewiesen werden konnten, wurde der Patient nach Hause entlassen. Die antibiotische Therapie wurde ambulant fortgesetzt, und zwar in Form einer Infusionstherapie mit Gentamycin über zwei Wochen und mit Penicillin über vier Wochen.

Symptome oft unspezifisch

Nach Rachel E. Bridwell, Notfallmedizinerin am Brooke Army Medical Center in Houston, bleibt die IE eine Herausforderung, sowohl im Hinblick auf die Diagnostik als auch auf die Ursachenfindung. Bis zu 80% der Fälle präsentieren sich mit Fieber, andere Symptome fehlen oft. So wird nur bei jedem zehnten Patienten ein Herzgeräusch als Hinweis auf eine Klappenschädigung nachgewiesen, und deutlich weniger als 10% zeigen typische Hautzeichen wie Osler-Knötchen oder Janeway-Läsionen als Folge von Mikroembolien.

In bis zu 30% werden bei IE-Patienten jedoch Symptome wie bei einem Schlaganfall beobachtet, und zwar gehäuft innerhalb der ersten zwei Wochen nach Einleitung einer Therapie mit I.v.-Antibiotika. Die Ursache sind Embolien, die laut Bridwell et al. vor allem dann entstehen, wenn die Läsion an der Herzklappe mehr als 1 cm im Durchmesser beträgt. 

„TTE allein genügt nicht!“

Eine Klinikeinweisung ist bei entsprechendem Verdacht in jedem Fall erforderlich, wobei immer sowohl TTE als auch TEE durchgeführt werden sollten, betonen die Notfallmediziner: „Eine TTE allein ist zur Abklärung der IE unzureichend!“ Beide Untersuchungen zusammen innerhalb der ersten zwölf Stunden nach Einweisung seien dagegen in der Lage, Vegetationen an den Herzklappen in bis zu 90% der Fälle aufzudecken.

Welche Rolle das „Fädeln“ mit Zahnseide bei der Entstehung bakterieller Endokarditiden spielt, ist ungeklärt. Generell gilt das Flossing in puncto IE eher als protektiv, wie auch allgemein eine gute Zahnhygiene gerade bei Herzpatienten angeraten wird. Allerdings können Eingriffe an den Zähnen das Risiko einer Bakteriämie erhöhen. Dies kann laut Bridwell et al. vor allem bei bereits vorgeschädigter Herzklappe und ungleichförmigem Blutfluss dazu führen, dass sich Keime an der Klappe absiedeln.

Im vorliegenden Fall waren Regurgitationen an der Mitralklappe anamnestisch bekannt gewesen. Das übertriebene Flossing bis zum Zahnfleischbluten, das fast schon einer Zahn-Op. gleichkam, war nach Ansicht der Notfallmediziner als Auslöser der Endokarditis durchaus plausibel. Die Autoren des Fallberichts raten zur niedrigschwelligen IE-Abklärung. Das gelte beispielsweise auch für Patienten mit bestehender Klappeninsuffizienz, die nach einer ausgedehnten Zahnreinigung anhaltendes Fieber entwickeln.

Quelle: www.springermedizin.de

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