Neuropathien durch Lachgas

Es ist eher zum Weinen: Bis zu 50 Lachgaskartuschen inhalieren manche junge Menschen täglich, um sich zu berauschen. Dies kann zu schweren Neuropathien infolge eines Vitamin-B12-Mangels führen.

von Thomas Müller
30.08.2021

Bei Lachgaskonsumenten haben französische Neurologen schwere Neuropathien gefunden: Rückenmarksdegeneration und akute demyelinisierende Polyneuropathie.
© Foto: ink drop / stock.adobe.com
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Ob Pandemie und Lockdown den Drogenkonsum junger Menschen erhöhen oder mangels Gelegenheiten eher verringern – darüber wird noch immer diskutiert. Der Alkoholkonsum scheint ohne Partys und offene Kneipen eher zurückgegangen zu sein, der Wunsch, Frust und Langeweile im Rausch zu vergessen, sicherlich nicht. So gibt es Berichte, wonach der Konsum harter und illegaler Drogen im Lockdown durchaus zugenommen hat.

Eine einfache Möglichkeit, auch bei strikter Ausgangssperre an berauschende Mittel jenseits von Alkohol zu gelangen, bieten Lachgaskartuschen, wie sie etwa zum Sahneschäumen verwendet werden. Die gibt es für wenig Geld in jedem gut sortierten Supermarkt.

Allerdings hält der Lachgasrausch nicht lange, sodass die Rauschbedürftigen häufig nachlegen müssen, manche kommen so auf bis zu 300 Kartuschen in der Woche, was dann doch wieder ganz schön ins Geld geht. Schlimmer als die finanziellen Verluste dürften jedoch die Verluste von Nervenfasern im Rückenmark sein.

Seit dem Beginn der Pandemie tauchen immer wieder Berichte über schwere Neuropathien bei Lachgaskonsumenten auf. Auf dem EAN-Kongress im vergangenen Jahr haben Ärzte um Dr. Anne Bruijnes vom Zuyderland Medisch Centrum in Heerlen in den Niederlanden Alarm geschlagen – dort hat sich die neue Droge in den vergangenen Jahren stark verbreitet und bei jungen Menschen bereits Platz drei hinter Cannabis und Ecstasy erobert – in Amsterdam wird Lachgas etwa in bunten Luftballons auf der Straße verkauft.

Subakute Rückenmarksdegeneration

Das Problem ist mittlerweile auch in anderen Ländern angekommen. So berichten Neurologen um Dr. Maximilian Einsiedler vom Hôpital de Hautepierre in Straßburg über fünf Patienten mit erheblichen neurologischen Problemen nach Lachgasmissbrauch (J Neurol 2021; online 10. Juli). Bei vier der Patienten diagnostizierten sie eine Rückenmarksdegeneration, bei einem eine akute demyelinisierende Polyneuropathie.

Die drei Männer und zwei Frauen waren zwischen 19 und 29 Jahre alt, hatten schon längere Zeit Lachgas inhaliert und kurz vor der Untersuchung in der neurologischen Klinik ihre Dosis erhöht – teilweise auf bis zu 50 Kartuschen am Tag. Alle hatten rasch voranschreitende neurologische Symptome entwickelt, meist symmetrisch aufsteigende Parästhesien und einen Verlust des Vibrationsempfindens. Zwei wiesen ein positives Lhermitte-Zeichen auf, eine Frau paroxysmale Dystonien beider Hände. Die beiden Patienten mit dem höchsten Konsum zeigten zudem eine propriozeptive Ataxie, die sie beim Gehen erheblich beeinträchtigte.

Die Symptome wurden auf eine subakute Rückenmarksdegeneration zurückgeführt, bei drei Patienten fanden die Ärzte zervikale Hyperintensitäten im Rückenmarks-MRT, bei einem auch eine Kontrastmittelanreicherung. Ein Betroffener ohne Rückenmarksauffälligkeiten wies im EMG Zeichen einer diffusen Demyelinisierung auf, wie sie für eine akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) typisch sind.

Eine ausführliche labor- und erregerdiagnostische Suche nach anderen Ursachen als Lachgas verlief ergebnislos, zwei Betroffene gaben gelegentlichen Alkoholkonsum zu, einer rauchte, weitere Drogen wollten die Patienten nicht genommen haben. Blutanalysen deuteten auf eine Störung im Vitamin-B12-Stoffwechsel: Die Serumkonzentrationen des Vitamins waren zwar normal, die Ärzte fanden aber deutlich erhöhte Homocystein- und Methylmalonsäurewerte – ein Hinweis auf einen funktionellen B12-Mangel.

Therapie mit Vitamin B12

Die Ärzte um Einsiedler begannen daraufhin bei allen Betroffenen eine Vitamin-B12-Therapie mit 1000 Mikrogramm zunächst täglich über eine Woche, dann wöchentlich über einen Monat und schließlich monatlich über drei Monate hinweg, begleitet von einer Folatsupplementierung. Der Mann mit AIDP erhielt zudem Immunglobuline, da die Ärzte eine andere Ätiologie als Lachgas nicht ganz ausschließen wollten. Die Dystonien der Frau ließen sich mit Carbamazepin (200 mg/d) kontrollieren. Bei allen Betroffenen ließen die Beschwerden im Laufe der Monate deutlich nach.

Zurückblickend konnten sich die Neurologen um Einsiedler auch an frühere Fälle von unerklärbaren Myelopathien in Kombination mit einer Vitamin-B12-Störung erinnern. Möglicherweise seien diese ebenfalls durch Lachgas verursacht worden.

Da neurologische Komplikationen durch Lachgas recht selten auftreten, spreche eine plötzliche Häufung solcher Fälle für eine deutliche Zunahme des Lachgasmissbrauchs seit Beginn der Pandemie, so die Ärzte um Einsiedler. Neben subakuten Rückenmarksdegenerationen und AIDP seien auch Guillain-Barré-Syndrome und toxische Leukenzephalopathien beschrieben worden.

Distickstoffoxid (N2O), wie Lachgas korrekt heißt, oxidiert Kobalt-Ionen in Vitamin B12. Das Vitamin wird dadurch inaktiviert, was den funktionellen Mangel bei normalen Konzentrationen erklärt. Homocystein und Methylmalonat können dann nicht mehr ausreichend abgebaut werden. Bei Verdacht auf Lachgasmissbrauch sollten daher auch die Homocysteinwerte mitbestimmt werden, raten die Neurologen.

Quelle: www.aerztezeitung.de

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