Ohne Tabak ein Schritt in die richtige Richtung

Einfach Aufhören - diese zwei Worte lesen sich so leicht, sind aber für viele Raucher eine riesige Hürde. Wem die eigene Gesundheit am Herzen liegt, es aber ohne Nikotin meint nicht auszuhalten, für den ist die Tobacco Harm Reduction, kurz THR, eine Option, das Rauchen wenigstens etwas unschädlicher zu machen. In der Medizin wird dieser nicht unumstrittene Ansatz bereits diskutiert, in der Zahnmedizin fehlt dieser Diskurs bisher - Grund genug, einen Experten Round Table zu diesem Thema zu initiieren. Im Vorfeld sprach Springermedizin mit zwei Teilnehmern des Roundtables, Prof. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences und Prof. Dirk Ziebolz, Universitätsklinikum Leipzig.

von Swanett Koops
31.05.2021

Schluss mit dem Tabakkonsum
© Foto: Brian Jackson / stock.adobe.com
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Tobacco Harm Reduction (THR) ist für viele Zahnmediziner vollkommen neu. Was steckt dahinter?

Prof. Heino Stöver: Das Prinzip der Schadensminimierung besteht darin, die negativen gesundheitlichen Auswirkungen eines schädlichen Konsums zu mindern, ohne dass ein vollkommener Verzicht erfolgen muss. Übertragen auf den Tabakkonsum geht es darum, Gesundheitsrisiken, die mit dem Rauchen in Verbindung stehen, abzuschwächen.

Tobacco Harm Reduction bedeutet daher, besser auf die Bedürfnisse von Tabakabhängigen einzugehen und ihnen alternative Methoden der Rauchentwöhnung aufzuzeigen.

E-Zigaretten und Tabakerhitzer, bei denen kein Tabak verbrannt wird und die nach aktueller Risikoeinschätzung erheblich weniger schädlich sind als fortgesetztes Rauchen, leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Das in diesem Zusammenhang veröffentlichte Konsensus-Papier „Neue Wege zur Eindämmung des Rauchens: Tabakkonsum & Schadensminimierung (“Tobacco Harm Reduction”)" wird von vielen verschiedenen Fachrichtungen getragen – Suchtforschung und Suchtmedizin, Gefäß-, Herz- und Lungenmedizin.

Warum soll es einen Experten Round Table zur E-Zigarette, Tabakerhitzer, Nikotinbeutel in der Zahnmedizin geben? Was genau ist der Hintergrund?

Prof. Dirk Ziebolz: Rauchen ist ein relevanter Risikofaktor für orale Erkrankungen, wie u.a. Parodontitis. Dabei ist der Begriff der THR in der Zahnmedizin weitestgehend unbekannt und der Einfluss von E-Zigarette, Tabakerhitzer sowie Nikotinbeutel auf die Mundgesundheit bisher nicht eindeutig geklärt.
In der Medizin wird hingegen zunehmend zur Schadensminderung des Rauchens die THR als Ersatz oder Übergang zum Rauchstopp diskutiert, da diese eine weniger schädliche Alternative zum Weiterrauchen darstellen. Zahnärzte/-teams aus der Praxis bedürfen einer entsprechenden Aufklärung zu dieser Thematik. Somit ist es notwendig eine Bewertung bzw. Übertragung der THR für eine zielgerichtete Rauchentwöhnung in der Zahnmedizin vorzunehmen bzw. zu diskutieren. Insbesondere der konstruktive Austausch mit Experten aus der Medizin erscheint in diesem Kontext von besonderer Relevanz.

Es gibt doch Verhaltensprogramme und arzneiliche Nikotin-Ersatzprodukte wie z.B. Nikotinpflaster oder -kaugummis. Warum also diese Produkte überhaupt in der Zahnarztpraxis erwähnen?

Prof. Dirk Ziebolz: Mit zunehmender Anwendung von E-Zigarette, Tabakerhitzer etc. werden wir auch in der Zahnarztpraxis häufiger mit der Thematik und deren möglichen Konsequenzen für die zahnmedizinische Betreuung konfrontiert. Selbstverständlich gibt es eine Vielzahl von Ansätzen zur Raucherentwöhnung (aus der Zahnarztpraxis) mit dem primären Ziel des (kompletten) Rauchstopps. Dabei zielt der Einsatz der arzneilichen Nikotin-Ersatzprodukte auf die Supplementierung des Suchtstoffs Nikotin ab.

Eine zwingende Voraussetzung, egal für welchen Weg zur Rauchentwöhnung, ist allerdings eine absolute Bereitschaft betroffener Personen zum Rauchstopp.

Versteht man jedoch Rauchen neben dem Sucht- bzw. Abhängigkeitsverhalten als ein komplexes „sozio-psychologisches“ Verhaltensmuster lässt sich möglicherweise die hohe Rückfallquote oder auch fehlende Bereitschaft zum Rauchstopp erklären (reduzierte Adhärenz / Compliance). Im Weiteren scheint eine alleinige Nikotin-Supplementierung häufig nicht ausreichend bzw. führt nicht zum gewünschten Entwöhnungserfolg. Mit dem Ziel einer Schadensminderung könnte daher für einen gewissen Anteil betroffener Patienten die THR auf dem schrittweisen Weg zur Tabakreduktion oder -entwöhnung eine mögliche Präventionsstrategie darstellen – eine Risiko-Nutzen-Abwägung für orale Erkrankungen ist hierfür eine Grundvoraussetzung.

Ist aber nicht auch das Nikotin gefährlich?

Prof. Heino Stöver: Nikotin hat zwar insgesamt ein hohes Suchtpotenzial, die anderen gesundheitlichen Nebenwirkungen sind allerdings überschaubar. Anders verhält es sich jedoch mit den Verbrennungsprodukten des Tabaks bei einer herkömmlichen Zigarette. Hier zeigt die wissenschaftliche Evidenz klar auf, dass insbesondere diese Stoffe für die gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums verantwortlich sind. Im Sinne der Schadensminimierung muss daher in erster Linie das Rauchen vermieden werden. Die genannten Alternativprodukte können Raucher hierbei unterstützen, wenn anders der Verzicht auf die weit gefährlichere Tabakzigarette nicht gelingt.

Aber sollten Raucher nicht lieber aufhören zu rauchen?

Prof. Heino Stöver: Das Beste, das Raucher für ihre Gesundheit tun können, ist unverzüglich aufzuhören. Deutschland ist immer noch ein Hochkonsumland für Tabak. Im Jahr 2020 lag die Raucherprävalenz bei 26,5%. Viele dieser Tabakraucher, können oder wollen nicht aufhören. E-Zigaretten, Tabakerhitzer und tabakfreie Nikotinbeutel sind zwar nicht harmlos, stellen aber eine weniger schädliche Alternative zum Weiterrauchen dar. Wissenschaftliche Ergebnisse zeigen schon lange, dass es wahrscheinlicher ist, dass Menschen viele kleine Schritte unternehmen, als ein oder zwei große, besonders wenn es um süchtig machende Substanzen geht. Der Tobacco Harm Reduction-Ansatz zielt nicht nur darauf ab, typische Gesundheitsrisiken und Schäden, die mit Rauchen verbunden sind, zu reduzieren, sondern versucht auch, die Ursachen dieser Risiken und Schäden zu verstehen und so stufenweise zu bekämpfen.

Wie Herr Prof. Stöver schon erwähnte, gibt es doch bereits Studien zu diesen Produkten. Was genau ist daher das Ziel dieses Experten Treffens?

Prof. Ziebolz: In der Zahnmedizin gibt es bisher nur wenige Studien zu E-Zigarette, Tabakerhitzer oder vergleichbaren Produkten mit einer Risikobewertung für die orale Gesundheit. Ebenso findet sich bisher kein zahnmedizinischer Bezug der THR als möglicher Ansatz zur Rauchentwöhnung im Sinne einer Schadensminderung. Hier steht im Wesentlichen der (komplette) Rauchstopp im wissenschaftlichem Interesse. Währenddessen gibt es aus der Medizin eine umfassende Betrachtung der THR zur Risikobewertung und Einsatzmöglichkeiten im Rahmen der Rauchentwöhnung. Dabei zeigen sich auch hier diverse bzw. kontroverse Einschätzungen bzw. Empfehlungen, wie aktuellen Leitlinien und Konsensus-Papieren zu entnehmen ist. Aus diesem Grund scheint es zwingend erforderlich und zeitgemäß Erfahrungen aus der Medizin zu kennen bzw. zu bewerten und auf die Zahnmedizin zu übertragen bzw. zu diskutieren. Dabei sollte neben der Möglichkeit der Schadenminderung durch THR vor allem eine Risikobewertung für die orale Gesundheit erfolgen.


Zu den Personen:

Prof. Dr. Heino Stöver ist Dipl.-Sozialwissenschaftler und seit 2009 Professor am Fachbereich “Soziale Arbeit und Gesundheit”  sowie Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt-University of Applied Sciences. Er ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender von akzept e.V. (Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in Bereichen der Drogenhilfeangebote, der Drogenpolitik, des gender-/männerspezifischen Drogenkonsums, der Evaluationen der Wirksamkeit von Hilfeangeboten, der Entwicklung neuer Interventionskonzepten und der Planung von bedarfsgerechten Gesundheitsversorgungsstrategien, insbesondere für marginalisierte Menschen. Er ist Träger des Forschungspreises 2017 der Hessischen Hochschulen sowie des Scientific Award 2017 des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA), sowie des Publikationspreises 2020 der „Stiftung - Forschung - Bildung Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS). Kontakt: https://www.frankfurt-university.de/de/hochschule/fachbereich-4-soziale-arbeit-gesundheit/kontakt/professor-innen/heino-stover/

Prof. Dr. Dirk Ziebolz studierte Zahnmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen. Von 2003 bis 2008 arbeitete er als Truppenzahnarzt bei der Bundeswehr, bevor er bis 2014 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und nachfolgend Oberarzt in der Poliklinik für Präventive Zahnmedizin, Parodontologie und Kariologie der Universitätsmedizin Göttingen tätig war. Im Jahr 2009 folgte der Abschluss zum Master of Science für Parodontologie und Implantattherapie. Die Habilitation (Venia legendi) für das Fach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde erlangte er 2012. Seit September 2014 ist Prof. Ziebolz Oberarzt der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Leipzig. 2018 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professur der Universität Leipzig.


 

Quelle: www.springermedizin.de

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