Rückenschmerzen: Forschungsgruppe sagt Therapieversagern den Kampf an

Diagnosen und Therapieentscheidungen erfolgen bei Patienten mit Rückenschmerzen allzu oft aufgrund statischer Momentaufnahmen. Nun soll die Diagnostik auf ein vollkommen neues Fundament gesetzt werden.

von Matthias Wallenfels
05.08.2021

Defizitäre Diagnostik? Wissenschaftler bemängeln, dass statische Momentaufnahmen bei der Diagnostik und Therapieentscheidung zu Therapieversagen führen. Das will eine neue Forschungsgruppe an der Charité ändern.
© Foto: joyfotoliakid / stock.adobe.com
Anzeige

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat den Weg freigemacht für eine neue Forschungsgruppe am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Im Fokus stehen Schmerzen im unteren Rückenbereich, die zu den häufigsten Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems gehören. Die interdisziplinäre Forschungsgruppe „Die Dynamik der Wirbelsäule: Mechanik, Morphologie und Bewegung für eine umfassende Diagnose von Rückenschmerzen“ will laut DFG grundlegend neue Erkenntnisse gewinnen, wie Rückenschmerzen entstehen, um Diagnose und Therapie zu verbessern. Dazu vereint das Konsortium Forscher verschiedener Disziplinen und plant, 3000 Probanden mit und ohne Rückenproblemen zu untersuchen.

Außerdem sollen neue Therapieansätze in experimentellen Modellen entwickelt werden. Sprecher der Gruppe ist Professor Hendrik Schmidt vom Julius Wolff Institut für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration des BIH. „Zwei von drei Menschen sind im Verlauf ihres Lebens von Rückenschmerzen betroffen“, verdeutlicht Schmidt, am Institut Leiter der Arbeitsgruppe „Biomechanik der Wirbelsäule“. „Und wir können immer noch nicht genau vorhersagen, wer davon betroffen sein wird. Denn Rückenschmerzen haben viele Ursachen. Diesen wollen wir nun auf den Grund gehen.“

Zu wenig Wissen für personalisierte Therapien

Gründe, warum der Rücken zu schmerzen beginnt, sind vielfältig: Zu den bekannten Ursachen zählen Bewegungsmangel und Übergewicht, falsche Haltung am Arbeitsplatz, häufiges und falsches Heben und Tragen von Lasten. Darüber hinaus können auch bestimmte körperliche Erkrankungen Rückenschmerzen begünstigen. Auch Stress und Alltagssorgen gehen an unserem Rücken nicht spurlos vorüber, denn neben körperlichen Erkrankungen, können auch Stimmung, Lernvorgänge und psychische Belastung mit Rückenproblmen zusammenhängen. Weniger weiß man über genetische Grundlagen, biochemische Mechanismen, soziale Auslöser oder das Zusammenspiel mehrerer Faktoren.

„Entsprechend können wir auch noch nicht jedem Patienten und jeder Patientin die individuell angepasste Therapie anbieten“, erklärt Schmidt. Gegenwärtig werde bei Rückenbeschwerden auf der Grundlage einer einmaligen körperlichen Untersuchung und/oder bildgebender Verfahren wie MRT und Röntgen eine klinische Diagnose gestellt und danach bestimmte Therapien empfohlen. Diese statischen „Momentaufnahmen“ in einer für die Patienten fremden Umgebung gäben jedoch keine ausreichende Information über die zugrundeliegenden Mechanismen der Rückenbeschwerden. Daraus ergäben sich sehr häufig falsche Diagnosen und Therapieentscheidungen, die sich im späteren Verlauf als „Therapieversager“ herausstellen.

Dynamisches Abbild der Wirbelsäule angestrebt

„Wir wollen diese unbefriedigende Situation durch wissenschaftliche Studien verbessern. In Zukunft muss die Wirbelsäule als Organsystem ‚mit dynamischer Funktion‘ verstanden sowie biochemische und psychosoziale Zusammenhänge miterfasst werden. Wir wollen von einer statischen Kurzzeitanalyse (‚Momentaufnahme‘) zu einem dynamischen Abbild der Wirbelsäule gelangen und dazu Messwerte für die Haltung und das Bewegungsprofil im Alltag erheben. Nur so können wir in Zukunft ein ‚Therapieversagen‘ vermeiden“, skizziert Schmidt das Projektvorhaben.

Quelle: www.aerztezeitung.de

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *