Strukturiertes Hungern hilft wohl gegen Diabetes

Über viele Jahrtausende waren Menschen phasenweise Nahrungsüberangebot, aber auch Hungerphasen ausgesetzt. Ein solches Auf und Ab wirkt nach Studiendaten gegen Diabetes und Adipositas. Strukturiertes Fasten ließe sich zur Prävention und Therapie nutzen, hieß es im Vorfeld des Diabeteskongresses.

von Von Wolfgang Geissel
20.06.2022

Essen nur wenige Stunden am Tag: Das fördert in den Fastenzeiten die Fettverbrennung.
© Foto: Katecat / stock.adobe.com
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Freiwilliges Fasten kann Adipositas und Typ-2-Diabetes vorbeugen und Betroffenen zu verbessertem Stoffwechsel und zu Gewichtsreduktion verhelfen. Das hat Professor Stephan Herzig, der Direktor des Helmholtz Diabetes Centers München, bei einer Pressekonferenz im Vorfeld der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) berichtet. Der Forscher hofft, dass sich in Zukunft strukturierte Ernährungstherapien entwickeln lassen, mit denen Menschen mit Diabetes oder Adipositas behandelt werden können.

Der Stoffwechsel von Menschen hat sich seit der Steinzeit nicht verändert, sagte Herzig bei der Veranstaltung. Damals gab es Nahrung nur phasenweise und dazwischen Hungerperioden. In solchen Zeiten war wichtig: Um die aufgenommene Energie optimal zu nutzen, werden Überschüsse in Fett umgewandelt und gespeichert.

Abwärtsspirale durch Nahrungs-Überangebot

Heute wird dies allerdings vielen Menschen zum Verhängnis. Weil es Nahrung stets im Überfluss gibt und nicht mehr gehungert wird, kommt es zu einer Abwärtsspirale: Es entsteht Übergewicht verbunden mit Insulinresistenz und chronischer Entzündung. Dies begünstigt Stoffwechseldefekte mit erhöhten Werten von Blutzucker, Lipiden und Blutdruck. In Folge kann es wiederum zu Fettleber und über viele Jahre zur makro- und mikrovaskulären Sekundärkrankheiten kommen.

Um gegenzusteuern, lassen sich die physiologisch günstigen früheren Hungerphasen durch Fastentherapien simulieren. Während des Fastens muss der Körper seinen Stoffwechsel umstellen, und zwar typischerweise von Zucker- auf Fettverbrennung. Dieser Fettabbau begünstige den Aufbau bestimmter Energieträger, die zum Beispiel für die Energieversorgung des Gehirns Verwendung finden, sagte Herzig dazu: „Unter dem Einfluss bestimmter Hungerhormone wie Glukagon oder Kortisol nutzt der Körper den Fettabbau und bei sehr langem Hungern auch den Eiweißabbau, um die Zuckerproduktion in der Leber anzukurbeln. Zudem werden auch Ketonkörper in der Leber gebildet, die dann zum Beispiel vom Gehirn als Energielieferant benutzt werden können“.

Molekulare Schalter für Hungerantwort erforscht

Sowohl die molekularen Grundlagen dieser Prozesse als auch die Auswirkungen künstlicher Hungerphasen oder -perioden werden erforscht. In den letzten Jahren wurden mehrere molekulare Schalter gefunden, welche die Hungerantwort in einzelnen Organen kontrollieren. Dazu gehört etwa der Fettstoffwechsel oder die Zuckerproduktion der Leber. „Manipulieren wir diese Schalter entsprechend, ist es möglich, bei Diabetes Typ 2 den Stoffwechsel zu verbessern“, erklärte Herzig.

Somit könne freiwilliges Fasten für viele Menschen je nach individueller Verfassung gesundheitsfördernd sein. Dennoch führe es nicht zwangsläufig zu einem Gewichtsabbau, betont er: „In jedem Fall zeigen sich aber positive Effekte wie eine Blutdrucksenkung und eine Verbesserung der Glukose- und Blutfettwerte.“ Belegt seien zudem eine vermehrte Autophagie, eine verbesserte Pankreas-Funktion und eine besser kontrollierte Insulinausschüttung. Auch die Gedächtnisleistung verbesserte sich. Hinzu kommt ein vermehrter Bewegungsdrang: „Wer in der Steinzeit hungerte, musste aktiv werden, um Nahrung zu suchen“, sagte Herzig dazu.

Fasten linderte diabetische Nephropathie

Eine klinische Studie des Universitätsklinikums Heidelberg und des Helmholtz Diabetes Centers München hat zudem ergeben, dass Hungerperioden bei existierenden Langzeitschäden des Diabetes sogar therapeutisch wirken können, zum Beispiel über eine Verbesserung der Nierenfunktion bei diabetischer Nephropathie.

Wie sieht das wissenschaftlich untersuchte Intervallfasten aus. Herzig nannte hier etwa ein Tag essen und ein Tag hungern oder auch zwei Tage pro Woche hungern und sonst normal zu essen. Die Effekte lassen sich allerdings nur so lange aufrecht erhalten, wie strukturiert gehungert wird, betonte Herzig. Wer ein Fastenprogramm beginnen möchte, sollte deshalb darauf achten, dass es sich ohne großen Verlust an Lebensqualität in den Alltag einbauen lässt. Er empfiehlt zum Beispiel, auf das Frühstück zu verzichten und täglich nur in einer Zeitspanne von sechs bis zehn Stunden zu essen.

Jeder ausgewachsene Mensch kann fasten, betont Herzig. Er weist hierzu allerdings auf fehlende Studiendaten bei Kindern und Jugendlichen hin sowie bei alten Menschen. Kontraindiziert sei das Fasten zum Beispiel bei Kachexie, etwa von Krebspatienten.

Quelle: Ärzte Zeitung

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