Unfall in der Wildnis: Was tun?

Ein Unfall in touristisch wenig erschlossenen Regionen ist eine Herausforderung. Wenn Krankentransporte und Notärzte nicht verfügbar sind, ist Improvisieren gefragt.

von Von Friederike Klein
24.08.2022

Alles für den Notfall dabei? Auch ein Ausrüstung für eventuelle Unfälle gehört ins Gepäck, wenn eine Tour in die Wildnis gestartet wird
© Foto: encierro / stock.adobe.com
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 „Bei einem Unfall in unwegsamem Gelände ist das Wichtigste für das Überleben das Warmhalten!“, erinnerte Dr. Andreas H. Leischker, Rehabilitationsklinik für Geriatrie der Alexianer Tönisvorst GmbH. Der bekennende Ultraläufer führt regelmäßig Schulungsexpeditionen mit medizinischem Personal durch.

Die „Bratfolie“, die für solche Fälle angeboten wird, sollte unter die Jacke platziert werden und eine andere Jacke oder Unterlage unter die Person gelegt werden, um sie warm zu halten. Nach Leischkers Erfahrung sind Müllbeutel noch besser geeignet als Folien: Sie halten auch bei Regenwetter dicht.

Frakturen immer reponieren!

Frakturen sollten in der Wildnis immer reponiert werden, empfahl er. Wird nicht achsgerecht stabilisiert, droht ein Kompartmentsyndrom und der Verlust der Extremität. Zum Immobilisieren von Extremitäten können, wenn keine SAM-Splints mitgenommen wurden, auch Walkingstöcke oder ähnlich längliche Gegenstände verwendet werden. Als orale Analgetika empfahl Leischker in dieser Situation nicht-steroidale Antirheumatika plus Tilidin, gegebenenfalls auch Paracetamol.

Erfahrenere Ärztinnen und Ärzte können auch eine Bruchspaltanästhesie mit Bupivacin durchführen, wenn sie entsprechendes Material dabei haben. Offene Frakturen mit verschmutzten Wunden sollten sofort gesäubert werden. Dazu genüge Trinkwasser, so Leischker. Auch hier wird rasch reponiert und dann immobilisiert. Wichtig ist ein steriler Wundverband. Neben der Analgesie sollte auch eine Antibiotikaprophylaxe erfolgen.

Luxationen sollten ebenfalls schnell reponiert werden. Bei Zuwarten werden Muskelspasmen stärker und können ein Einrenken später erschweren. Leischkers Erfahrung nach kann eine Massage vor dem Reponieren psychisch beruhigen. Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS) sollten vor und nach der Reposition kontrolliert werden.

Nicht nur offene Frakturen, auch andere verschmutzte Wunden können problemlos mit Trinkwasser gesäubert werden. Bei blutenden Wunden sollte mit einer Kompresse über zehn bis 15 Minuten durch Druck mit den Fingern eine Blutstillung versucht und dann ein Druckverband angelegt werden. Der Wundverband ist täglich zu wechseln. Klaffende Wunden sollten feucht verbunden werden.

Wann mit Antibiotikatherapie starten?

Ist absehbar, dass bis zu einer definitiven Versorgung der Wunde mehr als drei Stunden vergehen, empfahl Leischker, innerhalb der ersten Stunde mit der Gabe systemischer Antibiotika zu beginnen, z.B. dreimal täglich 500 mg Amoxicillin/125 mg Clavulansäure.

Bei Biss eines tollwutverdächtigen Tieres sollte die Wunde zunächst mit Wasser und Seife ausgewaschen werden – die Erreger seien sensitiv für Seife, sagte Leischker. Erst dann erfolgt die Desinfektion (z.B. Octenisept). Wenn möglich, sollte kein Wundverschluss erfolgen und rasch gegen Tollwut geimpft werden.

Saubere Wunden, die nicht stark bluten, können primär in der Wildnis verschlossen werden. Im Gesicht sind Wundverschlussstreifen (z.B. Steristrips) hilfreich. Für den behaarten Kopf eignen sich auch Einwegklammergeräte, wenn Platz dafür im Gepäck ist.

Eine Kompresse getränkt mit Adrenalin (1mg auf 10 ml NaCl 0,9%) kann helfen, Blutungen zu stillen. Bei nicht komprimierbaren Blutungen wird eine permissive Hypotonie empfohlen (Zielblutdruck 80–90 mmHg systolisch), bei Schädelhirntrauma etwas höher. In diesen Situationen ist das Warmhalten der Patienten besonders wichtig. „Mit jedem Grad Körpertemperatur weniger steigt die Letalität“, sagte Leischker. Wenn vorhanden, kann Tranexamsäure eingesetzt werden (1000 mg = 10 ml Cyclokapron® i.v. oder 4 x 2 Tabletten à 500 mg oral innerhalb von drei Stunden nach Trauma).“

Füße in eiskaltes Wasser!

Einfacher kann die Blutstillung bei Epistaxis unterstützt werden: Beide Füße in eiskaltes Wasser tauchen hilft nach Erfahrung von Leischker besser, als Coolpacks in den Nacken zu legen. Hilfreich kann es auch sein, einen Tampon in die Nase einzuführen und dann mit Tranexamsäure zu tränken. Fast alle Verunfallten in der Wildnis haben Hunger und Durst – sie dürfen dann essen und trinken, ergänzte Leischker.

Quelle: Ärzte Zeitung

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