Warum Frauenherzen sensibler sind

Frauenherzen reagieren in jüngeren Jahren sensibler auf einen hochnormalen Blutdruck als Männerherzen. Dabei ist die diastolische Hypertonie einer norwegischen Studie zufolge entscheidender als die systolische.

von Dr. Christine Starostzik
29.06.2021

In einigen Ländern wird seit einiger Zeit ein Anstieg an Klinikeinweisungen von Frauen mittleren Alters mit ACS beobachtet.
© Foto: 9nong/stock.adobe.com
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Das Wichtigste in Kürze

  • Frage:Welchen Einfluss hat ein hochnormaler Blutdruck bei Männern und Frauen Anfang 40 auf das Risiko eines akuten Koronarsyndroms (ACS) im mittleren Alter?
  • Antwort:Bei Frauen verdoppelte sich das ACS-Risiko, während sich bei Männern kein signifikanter Unterschied zeigte. Insbesondere der diastolische Wert war bei den Frauen wegweisend.
  • Bedeutung:Die Studienergebnisse könnten zu der Erklärung beitragen, warum die ACS-Inzidenzen bei Frauen in jüngerem und mittlerem Alter in den letzten Jahrzehnten nicht so stark gesunken sind wie bei Männern dieser Altersgruppe.
  • Einschränkung:Keine Informationen zu Blutdruckwerten oder antihypertensiven Therapien im weiteren Studienverlauf.

Während in den Industrieländern die Inzidenz des akuten Koronarsyndroms (ACS) insgesamt abnimmt, sind jüngere Frauen von diesem Trend ausgenommen. Im Gegenteil: In einigen Ländern wird in letzter Zeit ein Anstieg an Klinikeinweisungen von Frauen mittleren Alters mit ACS beobachtet.

Allgemein wird vermutet, dass hypertone Frauen ein höheres Herzinfarktrisiko haben als Männer. Ob dies bereits bei einem hochnormalen Blutdruck (130–139/80–89 mmHg, nach der US-Leitlinie als Grad-1-Hypertonie definiert) der Fall ist, haben Ester Kringeland von der norwegischen Universität Bergen und Kollegen in der Hordaland Health Study untersucht (Eur J Prev Cardiol 2021; online 16. Mai).

Die Blutdruckwerte wurden zu Studienbeginn zwischen 1992 und 1993 erhoben. Als normotensiv wurden Personen mit einem Blutdruck < 130/80 mmHg bezeichnet. An der Studie nahmen 12.329 Personen teil, die zu Studienbeginn durchschnittlich 41 Jahren alt waren, 52 Prozent davon waren Frauen. Das ACS war definiert als stationäre Behandlung oder Tod infolge eines Myokardinfarkts oder einer instabilen Angina pectoris während eines Beobachtungszeitraums von durchschnittlich 16 Jahren.

Zu Studienbeginn war der Anteil Frauen mit hochnormalem Blutdruck/Hypertonie geringer als der der Männer (RR 130–139/80–89 mmHg: 25 Prozent vs. 35 Prozent; RR ≥ 140/≥ 90 mmHg: 14 Prozent vs 31 Prozent). Während des Follow-up erlitten 1,4 Prozent der Frauen und 5,7 Prozent der Männer ein akutes Koronarsyndrom.

Wie hoch sind die Unterschiede?

Wurden in der adjustierten Analyse Diabetes, Raucherstatus, BMI, Cholesterin und die körperliche Aktivität berücksichtigt, zeichnete sich in der Gruppe der Frauen mit Blutdruckwerten von 130–139/80–89 mmHg ein doppelt so hohes Risiko für ein ACS wie bei den normotensiven Frauen ab (Hazard Ratio, HR 2,18).

Bei den Männern dagegen war der Unterschied zwischen Personen mit hochnormalem Blutdruck und Normotensiven nicht signifikant. Bei Frauen mit Blutdruckwerten ≥ 140/≥ 90 mmHg war das ACS-Risiko gegenüber normotensiven Studienteilnehmerinnen verdreifacht, und auch bei den Männern mit diesen Werten ergab sich ein signifikant erhöhtes ACS-Risiko (HR 1,40).

In der Einzelbetrachtung von systolischem und diastolischem Blutdruck der Frauen mit Werten von 130–139/80–89 mmHg zeigte sich lediglich für den diastolischen Wert ein signifikanter Zusammenhang mit dem ACS (HR 2,79). Bei den Männern konnte in diesem Druckbereich weder für den systolischen noch für den diastolischen Wert ein signifikant erhöhtes Risiko festgestellt werden.

Die in dieser Studie festgestellten geschlechtsspezifischen Befunde spiegelten möglicherweise Unterschiede in der Gefäßbiologie von Männern und Frauen wider, so Kringeland und Kollegen. Bislang berücksichtigen allerdings weder US- noch europäische Leitlinien die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei den Empfehlungen zum Hypertoniemanagement. Ob eine frühere antihypertensive Therapie der Frauen diese Entwicklung aufzuhalten vermag, ist zudem unklar.

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