Wissenschaftler rufen nach mehr Forschung zu Pflanzenwirkstoffen

Jedes zweite neue Medikament der letzten 40 Jahre basiert auf Pflanzen-Inhaltsstoffen, berichten Biologen. Sie fordern, verstärkt Pflanzen auf ihr Heilpotenzial zu untersuchen – bevor diese Aussterben.

28.02.2023

Sideritis-Arten werden als griechischer Bergtee gegen Erkältungen angewandt. Die Pflanzen sind durch übermäßiges Sammeln vom Aussterben bedroht.
© Foto: Lana_M / stock.adobe.com
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Wissenschaftler wollen die Erforschung von Heilpflanzen systematisch vorantreiben. Mit ihnen könne die medizinische Versorgung der Menschheit gesichert werden, schreibt die Gruppe um Spyros Theodoridis vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt (The Lancet Planetary Health 2023; 7: E155). Die Forscher weisen aber auf die Gefahren hin, die die Klimakrise für diese wichtigen Naturressourcen darstellt.

Neue Analyseverfahren wurden entwickelt

„Heilpflanzen und ihre bioaktiven Stoffe bieten enorme Möglichkeiten für die zukünftige medizinische Versorgung der Menschheit – als eine naturbasierte, kostengünstige und effiziente Gesundheitsressource. Aber unser Wissen über sie ist immer noch ausschnitthaft“, erläutert Theodoridis: „Von etwa 374.000 bekannten Pflanzenarten sind bislang nur 15 Prozent chemisch analysiert – und gerade einmal sechs Prozent wurden unter pharmakologischen Gesichtspunkten untersucht.“

Die Hälfte der in den vergangenen vier Jahrzehnten weltweit zugelassenen Medikamente basiere auf den Inhaltsstoffen medizinischer Pflanzen oder sei nach ihrem Vorbild entwickelt worden, haben die Autoren recherchiert. Bekannte Beispiele sind Morphium aus Schlafmohn oder die Salicylsäure aus Weidenrinde in ASS.

In den letzten Jahren habe das Interesse an Heilpflanzen durch neue Analyseverfahren wieder zugenommen, schreiben die Autoren. Das liegt an neuen Entwicklungen auf den Gebieten der Metabolomik (Erforschung von Stoffwechselprodukten) und der Genomik. So konnten zum Beispiel im Genom der Eibe jene Gene identifiziert werden, die für die Synthese des Krebsmedikaments Paclitaxel verantwortlich sind.

Klima- und Biodiversitätskrise bedroht viele Pflanzenarten

Gleichzeitig seien aber traditionelle – ebenso wie noch unbekannte – Heilpflanzen durch den Einfluss des Menschen bedroht. Beispiele sind die Sideritis-Arten, die als griechischer Bergtee unter anderem bei Erkältungen angewendet werden, und durch übermäßiges Sammeln vor dem Aussterben stünden.

Zudem bedroht die Klima- und Biodiversitätskrise ganze Ökosysteme. „Die bioaktiven Pflanzenstoffe, die wir als Heilmittel einsetzen, erfüllen in der Natur spezifische Aufgaben in der Interaktion von Pflanze und Ökosystem – von der Bestäubung bis zur Bodenqualität“, erklärt Ko-Autor David Nogués Bravo vom Center for Macroecology, Evolution and Climate der Universität Kopenhagen. „Extreme Temperaturen, Dürreperioden und eine erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre können dieses komplexe Zusammenspiel stören.“ Klima- und Biodiversitätsforschung müssten zusammenarbeiten, um geeignete Schutzkonzepte zu schaffen.

Am Beispiel von Europa haben die Forschenden eine Reihe von Indikatoren entwickelt, um das Potenzial für Heilpflanzen sowie deren Gefährdung zu erfassen. Von besonderem Interesse sind hier die Mittelmeerregion und polarnahe Gebiete. „Unser Ziel ist es, Anstöße für die transdisziplinäre globale Erforschung von medizinischen Pflanzen zu geben. So können wir in der Zukunft nichts weniger als eine nachhaltige Transformation der weltweiten Gesundheitsversorgung erreichen und die „medizinische Biodiversität“ für kommende Generationen sichern“, fasst Theodoridis zusammen.(dpa/eis)

Quelle: Ärzte Zeitung

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