Drei Fälle aus der Rechtsmedizin

In Deutschland sind offenbar Schreckschusspistolen mit hohem Verletzungspotenzial in Umlauf. Bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) berichtet ein Forensiker von mehreren fast tödlich ausgegangenen Fällen und äußert einen schwerwiegenden Verdacht.

von Dr. Elke Oberhofer
14.10.2021

Schüsse aus Schreckschusspistolen beschäftigen die deutsche Rechtsmedizin. Die Tatwaffen hatten mehrere Zusatzfunktionen.
© Foto: jedi-master / stock.adobe.com
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Drei Notfälle, drei Schussverletzungen, zwei davon lebensbedrohlich, dreimal war eine angebliche Schreckschusspistole im Spiel: Für den Forensiker Marcus Schwarz vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig war bei dieser Konstellation eine akribische Untersuchung geboten. Wie konnte es sein, dass zumindest zwei der Betroffenen mit einer eigentlich harmlosen Waffe so schwer verletzt wurden, dass sie daran hätten sterben können?

Im ersten Fall war das Projektil von hinten in den Oberschenkel des 30-jährigen Opfers eingedrungen und dort relativ oberflächlich steckengeblieben. Bei dem fast gleichzeitig eingelieferten zweiten Patienten war es ganz ähnlich abgelaufen, nur hatte der 45-Jährige großes Glück gehabt, dass er nicht verblutet war: Die Kugel war 4 cm tief ins Bein eingedrungen und knapp vor der Arteria iliaca externa stecken geblieben.

Kopfverletzung von überraschendem Ausmaß

Der dritte Patient, ein 28 Jahre alter Mann, war ein Jahr später mit einem Kopfschuss in die Notaufnahme gelangt. Die Kugel war von vorne oberhalb der rechten Augenbraue in den Schädel eingedrungen. Der immerhin 3 cm lange Schusskanal endete im Stirnlappenbereich.

Neben dem Projektil ließen sich auch mehrere mitgerissene Knochensplitter im CT darstellen. Wie Schwarz betonte, war das Ausmaß der Verletzung im Verhältnis zur Größe der Kugel „eigentlich absolut unpassend“.

Die Rechtsmediziner fanden heraus, dass es sich in allen drei Fällen um ganz ähnliche Munition gehandelt hatte: schwarze Geschoße aus Hartgummi, 0,8 bis 0,9 cm im Durchmesser, mit 0,5 bis 0,6 g relativ leicht. Diese waren in allen Fällen von Waffen gleicher Bauart abgefeuert worden, einer Zoraki 914 vom Kaliber 9 mm, hergestellt laut Schwarz von einer Firma in Istanbul.

Auch hierzulande seien Waffen dieses Modells erhältlich. Von diesen unterschieden sich die Tatwaffen jedoch in mehreren Zusatzfunktionen, mit denen sie laut Schwarz offenbar bereits „ab Werk“ ausgeliefert worden seien, so die entfernbare Laufsperre und die vollautomatische Schussabgabe. Durch diese Zusätze seien aus den Schreckschusspistolen Waffen mit dem „Potenzial für schwere bis lebensgefährliche Verletzungen“ geworden.

Die Munition wiederum, die vom Hersteller ausdrücklich als „nicht letal“ beworben werde, habe, wie Schwarz betonte, „mit Knallkartuschen nichts zu tun“. Anders als bei herkömmlichen Schreckschusspatronen sei ein Projektil vorhanden, das sich teilweise bei der Verfeuerung zerlege, außerdem könne das für die Kugel verwendete Gummi bei der Lagerung aushärten. Als Hersteller für Waffen und Munition stehen zwei Firmen, die eine in der Türkei, die andere in Italien, in Verdacht.

Projektile ziehen große Mengen an Knochensplittern mit

In Zusammenarbeit mit der Wehrtechnischen Dienststelle der Bundeswehr laufen am Leipziger Institut inzwischen Studien, bei denen mit baugleichen Waffen und der entsprechenden Munition unter anderem auf Schädelrepliken geschossen wird. Die Verletzungsbilder, so Schwarz, „lassen sich 1:1 replizieren“. Man sehe sehr eindrucksvoll, „dass diese Projektile immer sehr große Mengen an Knochensplittern mitziehen“.

Dem Verdacht gegen die Hersteller – die Firmen sind dem Institut bekannt – soll jetzt nachgegangen werden. An seine rechtsmedizinischen Kollegen richtete Schwarz die dringende Bitte, bei ähnlich gelagerten Fällen das Leipziger Team zu informieren. Es sei durchaus möglich, dass solche Waffen im größeren Stil eingekauft und nach Deutschland gebracht worden seien.

Quelle: www.aerztezeitung.de

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