Mit der Gesundheitskompetenz der Deutschen ist es nicht weit her

Die Gesundheitskompetenz in Deutschland ist im EU-Vergleich unterdurchschnittlich ausgeprägt, geht aus einer WHO-Studie hervor. Jeder zweite Bundesbürger kann die Vor- und Nachteile einer Behandlung nicht einschätzen.

von Kathrin Handschuh
26.11.2021

70 Prozent der Deutschen finden es schwierig, im Internet herauszufinden, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt.
© Foto: Amir Kaljikovic / stock.adobe.com
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Die Deutschen haben bei der Gesundheitskompetenz deutliche Defizite. Das ist das Ergebnis der europäischen Studie „European Health Literacy Population Survey 2019-2021“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO). An der Erhebung haben 17 Länder teilgenommen, für Deutschland die Universität Bielefeld und die Hertie School Berlin.

Im internationalen Vergleich hätten die Befragten in Deutschland besonders häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen angegeben, heißt es in einer Mitteilung der Uni Bielefeld von Mittwoch.

Vor allem mit Blick auf die Navigation im Gesundheitssystem und die dazu nötigen Informationen: Rund 70 Prozent fänden es schwierig, herauszufinden welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, die ihnen helfen können, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Rund 50 Prozent hätten Schwierigkeiten, zu beurteilen, welche Art der Gesundheitsversorgung sie im Falle eines Gesundheitsproblems benötigen.

Versorgungsbrüche durch abgegrenzte Sektoren

Professorin Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld führt dieses Ergebnis in erster Linie auf die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems mit seinen abgegrenzten Sektoren und zahlreichen Schnittstellen zurück: „Das Gesundheitssystem in Deutschland ist sehr komplex und instanzenreich.

Für die Nutzerinnen und Nutzer ist es daher schwer überschaubar. Durch die Sektorierung und die Zersplitterung entstehen zudem zahlreiche Versorgungsbrüche. Sie sind besonders häufig bei Menschen mit langandauernden Gesundheits- und Krankheitsproblemen zu beobachten.“

Laut Studie verfügt rund die Hälfte (46 Prozent) der Befragten in den beteiligten 17 Ländern über eine geringe Gesundheitskompetenz. Auch hier fallen die Werte für Deutschland höher aus: Nach dem deutschen Teil der Studie sind es in Deutschland 58,8 Prozent, die eine geringe Kompetenz haben.

Eine Förderung der Gesundheitskompetenz sei hier deshalb besonders notwendig. Am schwersten falle es den Befragten zu beurteilen, wie relevant Gesundheitsinformationen seien. So habe jeder zweite Probleme damit, die Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsmöglichkeiten einzuschätzen.

Informationen über Umgang mit psychischen Problemen schwer zu finden

Auch der Nutzen der Gesundheitsinformationen in den Medien wird als wenig hilfreich eingeschätzt: Rund 40 Prozent hätten Schwierigkeiten, aufgrund von Informationen in den Medien zu entscheiden, wie man sich vor Krankheiten schützen kann – ein mit Blick auf die Corona-Pandemie alarmierendes Ergebnis, so die Uni Bielefeld.

Besorgniserregend sei auch, dass ein verhältnismäßig hoher Anteil der Befragten – rund ein Drittel – Probleme hat, Informationen über den Umgang mit psychischen Gesundheitsproblemen zu finden. In Deutschland trifft dies sogar auf über die Hälfte der Bevölkerung zu. Dies ist umso gravierender, weil der Anteil psychischer Belastungen in letzter Zeit zugenommen hat.

Doch nicht nur der hohe Anteil geringer Gesundheitskompetenz in der Gesamtbevölkerung sei alarmierend, sondern auch die Tatsache, dass Gesundheitskompetenz sozial ungleich verteilt ist. So hätten Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen, niedrigem sozialen Status und niedrigem Bildungsniveau größere Schwierigkeiten die richtigen Informationen zu finden.

Forscher: Geringe Gesundheitskompetenz verursacht hohe Kosten

Auch die Gesundheitskompetenz der Menschen im höheren Lebensalter sei geringer als beim Durchschnitt der Befragten. „Dies ist deshalb heikel, weil sie besonders auf Gesundheitsinformationen angewiesen sind“, heißt es.

Die Forscher betonen, dass eine geringe Gesundheitskompetenz hohe Kosten verursache: Denn sie gehe mit einem ungesünderen Gesundheitsverhalten, schlechterem subjektiven Gesundheitszustand und einer intensiveren Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, etwa von Hausärzten, der Krankenhaus- oder Notfallversorgung einher.

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