wir-point

Sie können Leben retten!

Notfälle und medizinische Zwischenfälle in der Zahnarztpraxis sind insgesamt gesehen relativ seltene Ereignisse. Umso wichtiger ist es, für den Ernstfall gewappnet zu sein. In dieser Fortbildung zeigen wir Ihnen, wie Sie damit umgehen sollten.

von Bernhard Gliwitzky, Johannes Horter
31.12.2019

Erste Hilfe Herzdruckmassage
© Foto: hakan çorbaci / Fotolia
Anzeige

Zunächst ist es bedeutsam, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Zahnarztpraxis darüber im Klaren sind, dass jederzeit in ihrem Arbeitsumfeld mit dem Eintreten von akuten Notfällen gerechnet werden muss. Diese Wachsamkeit (engl. „awareness“) verhindert möglicherweise einen Überraschungsmoment, der Ersthelfer häufig in einer Art Schockstarre verweilen lässt. Darüber hinaus ist es wichtig, in der Praxis einen Fahrplan für mögliche Notfallsituationen zu haben, damit im Ernstfall alle beteiligten Personen nach einem einheitlichen und für alle bekannten Muster vorgehen können. Besprechen Sie dieses Vorgehen und die Indikationen für die Alarmierung des Rettungsdienstes in regelmäßigen Abständen in ihren Teamsitzungen. Schauen Sie regelmäßig in den Notfallkoffer und machen sie sich mit dessen Inhalt vertraut.

Zuerst sollte bei einem plötzlichen Auftreten von akuten Notfallsymptomen wie Bewusstseinsverlust, Atemnot, Brustschmerz, Kollapsneigung, Krampfanfall, Schweißausbruch immer nach einem strukturierten Muster vorgegangen werden. Sprechen Sie den Patienten zunächst laut an und beobachten Sie, ob er reagiert. Sollte er irgendeine Art von Lebenszeichen zeigen (z.B. Sprechen, Atmen, Stöhnen, Bewegung, Husten), so sollten Sie ihn stets unter Zuhilfenahme einer einheitlichen Herangehensweise untersuchen und ggf. behandeln. Dieses Schema bezeichnen wir in der Notfallmedizin als die ABCDE-Methode. Sie folgt dem Prinzip, dass prioritätenorientiert die Vitalfunktionen untersucht und diese bei Störungen sofort behandelt werden. Dasjenige Problem, das den Patienten am meisten bedroht, muss sofort erkannt und behandelt werden („treat first what kills first“):

Atemwege (A)

Bei plötzlichem Bewusstseinsverlust erschlafft die gesamte Muskulatur und damit auch die Zungenmuskulatur. Der bewusstseinsgetrübte Patient kann seine Atemwege nicht mehr eigenständig freihalten. Das führt über eine deutliche Einschränkung der Atmung rasch zu einem akuten Sauerstoffmangel, welcher unbehandelt einen Herzstillstand bewirken kann. Daher muss bei jeder Notfallversorgung der Atemweg beurteilt und ggf. freigemacht werden. Sind die Atemwege verlegt (z.B. schnarchendes oder gurgelndes Atemgeräusch), so überstrecken Sie den Hals und ziehen dabei den Unterkiefer nach vorne. Sollte der Atemweg durch Erbrochenes verlegt sein, drehen Sie den Kopf zur Seite und saugen den Patienten mit einer Handabsaugpumpe ab. Ist der Atemweg frei und atmet der Patient, ist aber bewusstlos, legen Sie den Patienten in die stabile Seitenlage und gehen Sie weiter zum nächsten Schritt.

Bei jeder Notfallversorgung muss zunächst der Atemweg beurteilt werden!

Atmung/Beatmung (B)

Jetzt wird die Atmung beurteilt. Ein wacher bzw. reagibler Patient mit Atemnot sollte mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Öffnen Sie beengende Kleidung und ermutigen Sie den Patienten, ruhig zu atmen. Wenn Sie medizinischen Sauerstoff in der Praxis vorhalten, geben Sie dem Patienten über eine Inhalationssauerstoffmaske so viel Sauerstoff wie möglich.

Kreislauf (C)

Gehen Sie danach dazu über, den Kreislauf zu beurteilen. Tasten Sie den Puls des Patienten an der Halsschlagader oder am Handgelenk und beurteilen Sie die Frequenz und Qualität sowie die Beschaffenheit der Haut (Temperatur, Kaltschweißigkeit). Sollte der Patient kollabiert sein, legen Sie die Beine hoch, damit das Gehirn wieder mit Blut und Sauerstoff versorgt wird. Sollte der Patient stark bluten, führen Sie eine unmittelbare Kompression der Wunde durch und stoppen Sie damit die Blutung. Legen Sie ggf. einen Druckverband an.

Bewusstsein / Neurologie (D)

Untersuchen Sie im Anschluss die Qualität des Bewusstseins . Achten Sie darauf, ob der Patient alles bewegen kann und auf Ihre Fragen adäquat reagiert. Eine neu aufgetretene Sprach- oder Sprechstörung sowie eine Lähmung oder Bewegungseinschränkung einer Körperseite kann Hinweis für einen frischen Schlaganfall sein. Überprüfen Sie im jedem Fall den Blutzucker, wenn der Patient bewusstseinsgestört ist oder auch einen Krampfanfall hatte.

Anamnese (E)

Untersuchen Sie den Patienten im Anschluss nach möglichen Verletzungen und erheben Sie eine Anamnese. Sollten Sie das Gefühl haben, dass bei dem Patienten Lebensgefahr besteht oder er akut erkrankt ist, zögern Sie nie, den Rettungsdienst zu alarmieren. Die europaweit gültige Notrufnummer ist 112.

ABCDE-Schema

A-Atemwege

B-Belüftung und Qualität der Atmung- Sauerstoffbehandlung

C-Kreislaufbeurteilung und Schockbehandlung

D-Bewusstseinskontrolle und Neurologie

E-Untersuchung des Patienten

Reanimation - Der Super-GAU oder doch nur eine „Standardsituation“?

Die schlimmste Situation, die eintreten kann, ist ein plötzlicher Herz-Kreislauf-Stillstand, der am häufigsten durch eine maligne Herzrhythmusstörung ausgelöst wird (Kammerflimmern)[3]. Sollte der Patient auf Ihre Ansprache nicht reagieren, dann rufen Sie sofort in Ihrer Praxis laut um Hilfe und versuchen Sie, den Patienten flach auf dem Zahnarztstuhl oder gleich auf den Boden zu lagern. Öffnen Sie den Atemweg, indem Sie den Hals des Patienten überstrecken. Prüfen Sie jetzt zehn Sekunden, ob der Patient regelmäßig und normal atmet. Schauen Sie hierzu auf den Brustkorb, ob dieser sich hebt. Sollte der Patient nicht regelmäßig atmen oder nur Bewegungen im Mundbereich zeigen, ohne dass sich dabei der Brustkorb hebt (Schnappatmung), muss der Patient umgehend aus dem Behandlungsstuhl auf den Boden gebracht werden. Spätestens jetzt sollte ein weiterer Helfer den Notruf absetzen. Wählen Sie hierzu die 112 und beantworten Sie die Fragen des Disponenten. Beenden Sie niemals das Telefonat, bevor Sie dazu aufgefordert werden. Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes müssen folgende Punkte gewährleistet werden.

  1. Flachlagerung des Patienten auf dem Boden
  2. Freimachen des Brustkorbes von Kleidung
  3. Sofortiger Start mit Thoraxkompressionen in der Mitte des Brustkorbs 5-6 cm tief mit einer Frequenz von 100-120/min, wechseln Sie spätestens alle zwei Minuten den Helfer aus, damit hochwertige Thoraxkompressionen garantiert werden können.
  4. Wechsel von Thoraxkompressionen und Beatmungen mit Beatmungsbeutel im Verhältnis 30:2
  5. Wenn verfügbar, Einschalten und Befolgen der Sprachanweisung des Automatisierten Externen Defibrillators (AED)
  6. Ggf. Defibrillation bei Kammerflimmern nach Freigabe durch den AED

112 gewählt - Erst auflegen, wenn Sie dazu aufgefordert werden!

 

Bedenken Sie, dass Sie durch ihr beherztes Eingreifen dem Patienten das Leben retten und auch schwere Schädigung durch anhaltenden Sauerstoffmangel verhindern können. Auch in gut organisierten Rettungsdiensten dauert es durchschnittlich 8-10 Minuten, bis der Rettungswagen bei Ihnen ist. Ohne Reanimationsmaßnahmen durch das Praxisteam sind nach dieser Zeit bereits irreversible Gehirnschäden eingetreten.

Was sonst noch passieren kann…

Anaphylaxie: Unter einer Anaphylaxie versteht man eine überschießende Antwort des Immunsystems auf einen äußeren Reiz, hierbei zumeist als Reaktion auf ein Arzneimittel. Neben Antibiotika und Schmerzmedikamenten können in der Zahnheilkunde besonders routinemäßig eingesetzte Lokalanästhetika eine Anaphylaxie auslösen. Die Anaphylaxie ist als lebensbedrohend einzustufen und kann sich durch verschiedene Symptome äußern, die einzeln, aber auch zusammen, auftreten können. Hierzu zählen die Schwellung der Atemwege, eine Verengung der Bronchien und eine Kreislaufinstabilität mit Blutdruckabfall bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand. Begleitend können Juckreiz und Hautrötung auftreten, wie diese bei leichtgradigen allergischen Reaktionen häufig beobachtet werden.

Rufen Sie umgehend den Rettungsdienst über die generelle Notrufnummer 112 und holen Sie die Notfalltasche zum Patienten. Gehen Sie nach dem ABCDE- Prinzip vor. Besteht der Verdacht auf eine Anaphylaxie, sollten bei Erwachsenen umgehend 0,5 mg Adrenalin (bei Kindern 0,3 mg) intramuskulär verabreicht werden. Legen Sie einen Venenzugang und infundieren sie rasch mindestens 500 ml kristalloide Infusionslösung. Geben Sie zusätzlich Kortison und ein Antihistaminikum. Sollte sich der Zustand des Patienten nach fünf Minuten nicht gebessert haben, geben Sie erneut 0,5 mg Adrenalin i.m. Überwachen Sie die Vitalfunktionen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes.

Akutes Coronar-Syndrom: Hierunter fallen alle Formen des Herzinfarktes und der instabilen Angina pectoris. Patienten, die plötzlich über Brustschmerz klagen, sollten immer ernst genommen werden. Grund hierfür kann eine Minderversorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff sein. Bedingt durch eine Verlegung eines Herzkranzgefäßes durch ein Blutgerinnsel, kommt es anfallsartig zu starken Beschwerden in der Brust. Begleitend können Schweißausbruch und akute Angst auftreten. Auch Luftnot wird häufig als Symptom angegeben. Lagern Sie den Patienten mit erhöhtem Oberkörper und untersuchen Sie ihn nach dem ABCDE-Schema. Patienten mit akutem Herzinfarkt sind jederzeit durch einen plötzlichen Herztod aufgrund von Kammerflimmern bedroht [3]. Daher sollte der Patient niemals alleine gelassen werden. Überwachen Sie kontinuierlich die Vitalfunktionen, legen Sie eine Venenverweilkanüle und rufen Sie so früh wie möglich den Rettungsdienst, wenn die Beschwerden des Patienten nicht nachlassen. Beklagt der Patient Luftnot, geben Sie hochdosiert Sauerstoff über eine Inhalationsmaske. Wenn Sie Aspirin in der Praxis vorhalten, kann dies auch bereits durch Sie als Tablette gegeben werden, wenn keine bekannten Allergien vorliegen. Sollte der Patient einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, starten Sie umgehend mit der Reanimation wie oben beschrieben.

Schlaganfall: Der Schlaganfall ist ein sehr zeitkritisches Ereignis. Typischerweise handelt es sich um einen Verschluss einer hirnversorgenden Arterie. Seltener sind Hirnblutungen, die meistens durch einen kritisch erhöhten Blutdruck verursacht werden. Sollte der Patient plötzlich folgende Symptome aufweisen, zögern Sie nicht, den Rettungsdienst zu rufen:

  • Sprachstörungen
  • Lähmungen auf einer Körperseite
  • Hängender Mundwinkel
  • Sehstörungen

Es kann sein, dass sich die Symptome wieder zurückbilden. Trotzdem sollte der Patient rasch in eine spezielle Klinik eingewiesen werden, da sich der Schlaganfall vor allem dann gut behandeln lässt, wenn er schnell in einer geeigneten Klinik mit einer sogenannten „Stroke Unit“ eintrifft. Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes betreuen Sie den Patienten und beurteilen ihn nach dem ABCDE-Schema.

Ausstattung für den Notfall: Weniger ist manchmal mehr!

Grundsätzlich braucht es nur wenige Dinge, die für die Erstversorgung von Notfällen in den ersten Minuten bis zum Eintreffen des professionellen Rettungsdienstes notwendig sind. Wichtiger ist vielmehr die Tatsache, dass jeder im Team weiß, an welchem Ort die Ausrüstung in der Praxis liegt und wie die Gerätschaften richtig angewendet werden. Am besten ist es, eine Praxis hält für solche Fälle einen Notfallkoffer bereit, in dem alle notwendigen Utensilien enthalten sind (Siehe Tab. 1):

Tab. 1: Diese Materialien und Medikamente sollte ein Notfallkoffer enthalten

Materialien

Medikamente (Beispiele)

1x Einwegbeatmungsbeutel mit zwei Masken

1x Handabsaugpumpe + Absaugkatheter rot

1x Satz Guedel-Tuben (Größe 3,4,5)

1x Blutdruckmessgerät + Stethoskop

1x Blutzuckermessgerät

1x Ringer-Acetat-Lösung (500 ml)

1x Infusionssystem

2x Venenverweilkanülen Größe 20 Gauge

2x Venenverweilkanülen Größe 18 Gauge

Fixierpflaster

Rollenpflaster

5x Sterile Kompressen 10x10 cm

2x Verbandpäckchen groß

4x Einmalhandschuhe in den Größen small, medium und large

2x 10 ml-Spritzen

2x 5 ml-Spritzen

2x 2 ml-Spritzen

4x Kanülen

2x i.m.-Kanülen

Desinfektionsspray

ggf. eine Sauerstoffflasche mit Druckminderer + Sauerstoffmaske

ggf. einen Automatisierten Externen Defibrillator (AED)

2x Ampullen Suprarenin® (Adrenalin 1 mg)

1x Ampulle NaCl 10 ml zur Verdünnung

2x Ampullen à 10 ml Glucose 40%

1x Ampulle Solu-Decortin H®

1 Ampulle Fenistil®

1x Ampulle Dormicum® 5 mg

1x Nitrospray

Notfallmedizinische Aus- und Fortbildung: Was sollte jeder trainieren?

Die Kunst bei der Versorgung von Notfällen liegt nicht alleine im Wissen, sondern vor allem in den richtigen Handlungen. Hierzu braucht es regelmäßiges Training für das gesamte Praxisteam. Vor allem die Maßnahmen der Wiederbelebung müssen durch alle Praxismitarbeiter sicher beherrscht werden. Aber auch die Versorgung von anderen Notfällen, insbesondere der Anaphylaxie, sollte regelmäßig trainiert werden. Neben den zu beherrschenden Fertigkeiten ist auch eine sichere Kommunikation innerhalb des Teams wegweisend. Regelmäßige standardisierte Notfalltrainings von 2-3 Stunden Dauer sollten daher heutzutage zum Standard in Zahnarztpraxen gehören.

Bei allem Wissen um relevante Notfälle darf nicht verschwiegen werden, dass besonders ein regelmäßiges Training und das Beherrschen von notfallmedizinischen Techniken, hierbei vor allem der Reanimationsmaßnahmen, zwingend erforderlich ist, um im Notfall eine praktische Handlungskompetenz zu besitzen. Dies kann für jeden Patienten überlebenswichtig sein.


Literatur
[1]     Chapman PJ (1997) Medical emergencies in dental practice and choice of emergency drugs and equipment: A survey of Australian dentists. Aust Dent J 42:103–108

[2]     Schneider T, Emmel M, Daubländer M (2011) Intramuskuläre Adrenalingabe durch Zahnärzte bei Anaphylaxie In Notfall Rettungsmed 14 211-216

[3]     Deakin CD, Nolan J et al. (2010) Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Erwachsene, Sektion 4 der Leitlinien zur Reanimation des European Resuscitation Council In Notfall Rettungsmed 13 559-620

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *