Bei Unterkieferfraktur prophylaktisch Antibiotika?

Zur prophylaktischen Antibiotikabehandlung von Patienten mit Mandibulafraktur haben HNO-Ärzte und Gesichtschirurgen aus den USA eine Best-Practice-Empfehlung vorgelegt.

von Dr. Beate Schumacher
15.07.2023

Eine Tablette aus dem Blister drücken
© Foto: fpic / stock.adobe.com
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Die Frage, ob und wann bei Mandibulafrakturen, die keine Zeichen einer aktiven Infektion aufweisen, eine Antibiotikabehandlung erfolgen soll, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Ein Ärzteteam des University of Virginia Medical Center in Charlottesville hat daher die einschlägigen Studien gesichtet und daraus eine Best-Practice-Empfehlung destilliert. Danach scheint ein eher zurückhaltender Einsatz von prophylaktischen Antibiotika geboten, er beschränkt sich im Wesentlichen auf die perioperative Situation.

Die wichtigsten Studien

Für die Empfehlung haben die Ärzte um Christopher Harryman „die fünf relevantesten Studien mit der höchsten Evidenz“ ausgewählt. Deren Ergebnisse im Überblick:

  • Ein systematisches Review von Mundinger et al. (Craniomaxillofac Trauma Reconstr 2015), das 27 Studien mit dem gesamten Spektrum von Unterkieferverletzungen versammelt, zeigt den Nutzen einer perioperative Antibiotikaprophylaxe: Die Gabe weniger als zwei Stunden vor bis 24 Stunden nach der Op. war mit einer signifikant geringeren Inzidenz von postoperativen Wundinfektionen (SSI) verbunden. Zusätzlich raten die Autoren bei Mehrfach- und Trümmerfrakturen zu einer präoperativen Antibiotikaprophylaxe (früher als zwei Stunden vor der Op.) – eine Empfehlung, die laut Harryman et al. wegen der ungenügenden Differenzierung von prä- und perioperativer Prophylaxe in den zugrunde liegenden Studien mit Vorsicht zu interpretieren ist. Die postoperative Gabe von Antibiotika (mehr als 24 Stunden nach der Op.) wird durch das Review nicht gestützt. 
  • Forester et al. sprechen sich in ihrer Übersicht (Surg Infect (Larchmt) 2021) gegen eine routinemäßige präoperative Antibiotikabehandlung aus: Die üblicherweise zugunsten dieser Maßnahme zitierten Analysen bezeichnen sie als fehlerhaft; die verbleibenden retrospektiven monozentrischen Studien zeigten in Summe keinen Vorteil. Allerdings halten sie die Datenlage zu prä- wie zu postoperativer Prophylaxe insgesamt für unzureichend.
  • Laut der Metaanalyse von Habib et al. (Laryngoscope 2019) führt eine postoperative Antibiotikaprophylaxe nicht zu einer Reduktion von SSI: Die Rate von SSI war mit alleiniger perioperativer Gabe nicht höher als bei peri- plus postoperativer Behandlung.
  • Eine postoperative Antibiotikaprophylaxe hat nach der Metaanalyse von Delaplain et al. (Surg Infect (Larchmt) 2020) bei Mandibulafrakturen, die offen reponiert und intern fixiert werden, keinen Nutzen: Das Risiko von SSI ist bei einer nach der Op. für weitere 24–72 Stunden fortgeführten Antibiotikagabe gleich hoch und bei einer noch längeren Behandlungsdauer sogar höher als bei einer ausschließlich perioperativen Anwendung.
  • Dawoud et al. konstatieren in ihrem Review (Br J Oral Maxillofac Surg 2021), dass in den Studien zum Nutzen einer Antibiotikaprophylaxe bei Unterkieferfrakturen wichtige Parameter wie Art und Dauer der antibiotischen Behandlung und die Endpunkte nicht einheitlich berichtet werden. Sie halten die verfügbare Literatur für unzureichend, um sich definitiv für oder gegen prophylaktische Antibiotika bei Mandibulafrakturen auszusprechen.

Drei Best-Practice-Empfehlungen

Aus diesen Übersichten und Metaanalysen leiten Harryman und Mitarbeiter drei Best-Practice-Empfehlungen für Unterkieferfrakturen ab:

  1. Die derzeitige Evidenz stützt den perioperativen Einsatz von Antibiotika.
  2. Es gibt schwache Evidenz zugunsten von präoperativen Antibiotika bei Mehrfach- und Trümmerfrakturen.
  3. Es gibt keine Evidenz, dass postoperative Antibiotika einen Nutzen haben.

Da die Aussagen auf Reviews beruhen, die außer randomisierten kontrollierten auch Beobachtungsstudien berücksichtigt haben, stufen Harryman et al. die wissenschaftliche Aussagekraft als Evidenzklasse 2a ein.

Quelle: SpringerMedizin.de

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