Cannabis in der Jugend – neue Indizien zur Hirnentwicklung

Es gibt viele Hinweise, dass Cannabiskonsum in jungen Jahren dem Hirn langfristig schadet. Trotzdem bleibt die Frage der Kausalität ungeklärt: Neigen Jugendliche mit Psychosen zum Cannabiskonsum, um sich selbst zu therapieren, oder verursacht der Konsum die Psychose? Eine aktuelle Studie bringt Licht ins Dunkle.

von Thomas Müller
21.07.2021

Rauchende Teenies trinken Alkohol
© Foto: Joshua Resnick / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodellen)
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Das Wichtigste in  Kürze

Frage: Welche Auswirkung hat der Cannabiskonsum auf die Gehirnentwicklung Jugendlicher?

Antwort: Forscher fanden in der europäischen IMAGEN-Studie eine beschleunigte Abnahme der Dicke des rechten und linken präfrontalen Kortex, einhergehend mit Auffälligkeiten bei der Aufmerksamkeitsdynamik.

Bedeutung: Da die Veränderungen erst nach dem Beginn des Cannabiskonsums auftraten, spricht dies für einen kausalen Zusammenhang.

Einschränkung: Relevanz der Befunde noch unklar.

Mittlerweile spricht einiges dafür, dass ein hoher Cannabiskonsum dem Gehirn nicht zum Vorteil gereicht: Wer über Jahre oder Jahrzehnte täglich kifft, entwickelt oft psychische Probleme und ist geistig nicht besonders auf Zack. Für Gelegenheitskiffer lassen sich solche negativen Effekte aber kaum nachweisen, sofern andere Risikofaktoren für eine schlechte Hirngesundheit berücksichtigt werden.

Eine andere Situation liegt bei Jugendlichen vor: Hier gibt es viele Hinweise, dass man sich nicht täglich zudröhnen muss, um dem Hirn langfristig zu schaden. Möglicherweise genügen schon relativ geringe Cannabismengen, um die Entwicklung des Gehirns in der Pubertät empfindlich zu beeinträchtigen. So geht ein Cannabiskonsum in der Jugend mit einem erhöhten Schizophrenierisiko einher, ebenso mit hirnstrukturellen Auffälligkeiten. In Bildgebungsstudien hatten jugendliche Kiffer häufig einen vergleichsweise dünnen präfrontalen Kortex (PFC) und ein reduziertes Volumen in für Gedächtnis und Emotionsregulation relevanten Strukturen wie Hippocampus und Amygdala, aber auch im Kleinhirn und Striatum.

Pro- und antipsychotische Effekte

Daraus ergeben sich einige Fragen zur Kausalität: Neigen Jugendliche mit solchen Hirnveränderungen oder prodromalen Psychosen zum Cannabiskonsum, etwa um sich selbst zu therapieren, oder verursacht der Konsum die Veränderungen. Für beides gibt es gute Argumente. So enthält Cannabis nicht nur den halluzinogenen und propsychotischen Wirkstoff THC, sondern auch den Gegenspieler Cannabidiol (CBD), der antipsychotische Effekte aufweist. Auf der anderen Seite deuten Bildgebungsstudien darauf, dass die Hirne der Jugendlichen noch recht normal sind, bevor sie mit dem Kiffen anfangen. So ergab eine vor drei Jahren veröffentlichte Auswertung des europäischen IMAGEN-Projekts bei 16-jährigen Kiffern deutliche Volumenminderungen im strukturellen Hirn-MRT, die zwei Jahre zuvor noch kein Cannabis konsumiert hatten und damals auch keine MRT-Auffälligkeiten aufwiesen. Allerdings war die Zahl der Probanden recht klein, und es blieb unklar, ob die recht geringen Volumenabweichungen im Alltag irgendeine Relevanz haben.

Nun legen die IMAGEN-Forscher mit einer weitaus größeren Stichprobe nach. Die Analyse der Gehirne von 799 Probanden im Abstand von fünf Jahren bestätigt den Verdacht: Jugendliche haben, bevor sie ihre erste Tüte rauchen, noch recht normale Gehirne. Erst danach entwickeln sie Volumendefizite, und zwar vor allem im PFC. Diese gehen zudem mit Verhaltensauffälligkeiten und einer veränderten Verteilung von Cannabinoidrezeptoren im Gehirn einher.

Ein Viertel kifft

Für das IMAGEN-Projekt werden rund 2200 junge Menschen seit ihrem 14. Lebensjahr regelmäßig untersucht, unter anderem über Hirnscans, Kognitions- und Verhaltenstests, Fragebögen zum Lebensstil sowie Blut- und Genanalysen. Damit wollen Forscher die Hirnentwicklung im Jugendalter besser verstehen. Befragt werden die Teilnehmer auch nach ihrem Drogenkonsum. Vier der acht Studienzentren liegen in Deutschland. Die ersten Jugendlichen wurden zwischen 2008 und 2011 im Alter von rund 14 Jahren aufgenommen und untersucht, Nachuntersuchungen erfolgten in den Jahren 2013 bis 2016.

Für die aktuelle Auswertung berücksichtigten Psychiater um Dr. Matthew Albaugh von der Universität in Burlington nur Jugendliche, die zu Beginn, also im Alter von 14 Jahren noch keinen Cannabiskonsum angegeben hatten. Zudem mussten strukturelle MRT-Aufnahmen sowohl zu Beginn als auch fünf Jahre später vorliegen. 208 Personen, rund ein Viertel, gaben bei der Untersuchung nach fünf Jahren einen Cannabiskonsum zu, 161 (14%) bekannten sich, mehr als zehnmal gekifft zu haben.

Verglichen die Forscher nun das Hirnvolumen von Kiffern und durchgehenden Abstinenzlern, so fanden sie bei den Kiffern dosisabhängig eine reduzierte Dicke des linken und rechten PFC: Je mehr Cannabis die Jugendlichen konsumiert hatten, umso deutlicher waren die Unterschiede zu den Abstinenzlern. Die Differenzen blieben signifikant, wenn die Forscher den Konsum anderer Drogen, das Gesamthirnvolumen, das Geschlecht und sozioökonomische Faktoren einbezogen.

Dosisabhängige Schrumpfung

Schauten sie nun auf die Daten der Basisuntersuchung fünf Jahre zuvor, so fanden sie keine signifikanten Abweichungen der Kortexdicke zwischen späteren Kiffern und Nichtkiffern, es lässt sich folglich ausschließen, dass die Abweichungen dem Cannabiskonsum vorausgehen.

Ein ähnlicher Zusammenhang zeigte sich, wurden die MRT-Daten der einzelnen Cannabiskonsumenten ausgewertet: Zwischen der ersten Untersuchung und der zweiten ergab sich wiederum eine deutlich verstärkte Volumenabnahme des linken und rechten PFC. So schrumpfte etwa der linke PFC bei Jugendlichen ohne Cannabis in fünf Jahren altersgerecht im Schnitt um 0,6%, bei solche mit hohem Konsum um 1,0%.

Für einige Probanden prüften die Wissenschaftler auch die Dichte der Cannabinoidrezeptoren (CB1) per PET. Sie fanden eine erhöhte CB1-Dichte bei Kiffern vor allem in den Regionen mit besonders ausgedünntem Kortex – ein weiterer Hinweis auf Cannabis als Ursache der Volumenänderung.

Analysierten die Forscher um Albaugh Verhaltensauffälligkeiten, so zeigten die Kiffer deutliche Abweichungen bei der Aufmerksamkeitsdynamik, und diese gingen mit einem besonders dünnen rechtsseitigen dorsomedialen PFC einher.

Die Resultate legen einen kausalen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und beschleunigter PFC-Schrumpfung jugendlichen Konsumenten nahe, schlussfolgern die Psychiater um Albaugh. Theoretisch könnte es aber noch andere Erklärungen geben, etwa ein traumatisches Erlebnis zwischen den beiden MRT-Messungen, das sowohl die Hirnentwicklung als auch den Drogenkonsum beeinflusst, oder Hirnveränderungen, die einen Cannabiskonsum begünstigen und in der ersten Untersuchung nicht aufgefallen waren. Das alles halten die Forscher aber für recht unwahrscheinlich.

Nichtsdestotrotz bleibt die Frage nach der Relevanz der Befunde. Markiert die beschleunigte kortikale Schrumpfung nur eine vorgezogene Hirnreifung oder persistieren die Veränderungen auch noch im Erwachsenenalter? Und welche Konsequenzen haben sie dann für die Betroffenen? Hier darf man auf weitere IMAGEN-Auswertungen gespannt sein.

Quelle: www.springermedizin.de

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