Diese neuen Impfungen könnten bei Kindern bald Standard werden

Vielversprechende Daten aus dem In- und Ausland könnten zur Einführung neuer Standardimpfungen für junge Menschen führen. Beim Pädiatrie-Update 2021 wurden jetzt drei Impfstoff-Kandidaten vorgestellt.

von Dr. Christine Starostzik
07.05.2021

Die Autismus-Rate war in der Studie bei MMR-geimpften sowie ungeimpften Kindern gleich hoch.
© Foto: Dmitry Naumov / stock.adobe.com
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Jede zweite invasive Meningokokkenerkrankung tritt bis zum vierten Lebensjahr auf, ein zweiter Infektionsgipfel zeigt sich bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Dabei verlaufen 10–15 Prozent der Erkrankungen letal, und 30 Prozent der Genesenen müssen in der Folge mit schweren Beeinträchtigungen rechnen.

Die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C (MenC) für alle Kinder im zweiten Lebensjahr hat Infektionen mit Erregern dieser Gruppe offenbar zurückgedrängt: Im Jahr 2019 wurden in Deutschland lediglich 27 Fälle einer invasiven Meningokokken-Infektion mit MenC gemeldet.

Aktuell sind Meningokokken der Gruppe B auf dem Vormarsch. Im Jahr 2019 hat das RKI 256 Infektions- sowie 28 Todesfälle registriert. Wegen der unzureichenden Datenlage bei der MenB-Impfung wird diese hierzulande derzeit allerdings nur für Personen mit erhöhtem Krankheitsrisiko, etwa nach Splenektomie, bei Immundefekten oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus empfohlen.

Daten aus Säuglingsimpfprogramm in England

Doch dies kann sich demnächst ändern. Wie Professor Fred Zepp, Mitglied der STIKO, beim Pädiatrie-Update berichtete, existieren nun sehr gute Daten aus England – einem Land, in dem die Rate der Meningokokkeninfektionen etwa fünfmal so hoch ist wie in Deutschland. Die Daten stammen aus dem Säuglingsimpfprogramm mit 650.000 Neugeborenen, das dort bereits 2015 eingeführt wurde.

Es beinhaltet zwei Impfungen mit dem rekombinanten Proteinimpfstoff gegen Serogruppe B im ersten Lebensjahr und einen Booster am Anfang des zweiten Lebensjahres. Statt der zu erwartenden 253 Fälle traten bei den geimpften Kindern in der Folge nur 63 MenB-Infektionen auf.

Die Verlaufsdaten über drei Jahre lassen eine Reduktion der Infektionen um etwa 75 Prozent erkennen (NEJM 2020; 382:309-317). Weitere vielversprechende Daten zu MenB-Impfprogrammen liegen mittlerweile auch aus zwei italienischen Regionen sowie aus Portugal und Australien vor.

„STIKO muss über Men-Impfempfehlung beraten“

Da die Infektion einen zweiten Peak im Jugendalter erreicht, hat man in Australien eine entsprechende Studie mit einem Adoleszenten-Impfprogramm auf den Weg gebracht. Beim Vergleich des Zeitraums von 14 Jahren vor Beginn der Studie mit den zwei Jahren nach der MenB-Impfung zeigte sich im Jahr 2019 auch bei den 14- bis 18-Jährigen eine Reduktion der Fälle um 71 Prozent (Clin Infect Dis 2021; online 15. Februar).

„Das heißt“, so Zepp, „wir können mit einem Impfprogramm sowohl bei jungen Heranwachsenden als auch bei Säuglingen das Ziel erreichen, MenB zu verhindern“. Daten aus verschiedenen Ländern zeigten für den MenB-Impfstoff, der ja bereits seit sechs Jahren zur Verfügung steht, nun gute Wirksamkeit.

Das Fazit von Zepp zur MenB-Impfung lautet: „Wir sind jetzt alle ein bisschen Corona-belastet, aber MenB ist ein Thema, das die STIKO in den nächsten Monaten intensiv beraten muss. Ich glaube, dass die Daten ausreichen, um ein Impfprogramm auf den Weg zu bringen.“

Konjugatimpfstoff gegen Pneumokokken: mehr Serotypen

Von einer Infektion mit Streptococcus pneumoniae als Verursacher von Bakteriämie, Pneumonie oder Meningitis sind am häufigsten Kinder unter zwei Jahren und Senioren betroffen. Zwar wurden mit der Einführung von Pneumokokken-Konjugat-Impfstoffen wie PCV7, PCV10 und PCV13 bereits gute Erfolge erzielt, doch zielt die Impfstoffentwicklung darauf ab, weitere Serotypen abzudecken. In klinischen Zulassungsstudien befinden sich jetzt Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe mit 15 oder 20 Serotypen.

Bislang empfiehlt die STIKO bis zum 16. Lebensjahr eine sequenzielle Impfung aus dem Konjugatimpfstoff PCV13, gefolgt von dem Polysaccharidimpfstoff PPSV23, und ab einem Alter von 16 Jahren nur die Impfung mit dem Polysaccharidimpfstoff PPSV23.

Doch die Pneumokokkenimpfung sorgt seit Jahren für Diskussionen. Einerseits wird den Konjugatimpfstoffen ein besseres immunologisches Gedächtnis zugeschrieben, der 23-valente Impfstoff deckt andererseits aber mehr Serotypen ab.

In der Prüfung war jetzt ein 20-valenter Konjugatimpfstoff, mit dem der Impfschutz gegen Pneumokokkeninfektionen im Alter und bei Risikopatienten deutlich verbessert werden kann. In einer Studie wurde bei Erwachsenen eine einzelne Impfdosis von PCV20 gegenüber einer sequenziellen Impfung mit PCV13 plus PPSV23 getestet (Clin Infect Dis 2020; online 27. Juli).

Dabei zeigten sich zwischen den beiden Impfschemata keine Unterschiede hinsichtlich Reaktogenität und systemischen unerwünschten Wirkungen. Diese Resultate sind Zepp zufolge nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für Kinder und Jugendliche interessant: „Wir haben jetzt einen Impfstoff, der tatsächlich die 20 relevanten pathogenen Pneumokokkenstämme in einem Konjugatimpfstoff vereint.“

SARS-CoV-2: Impfung für Kinder und Jugendliche in Sicht

Nach bisherigen Erkenntnissen erkrankten Kinder im Vergleich zu Erwachsenen meist weniger schwer an COVID-19 und haben eine deutlich bessere Prognose. Bis zu 94 Prozent der SARS-CoV-2-positiv getesteten Kinder erleben einen asymptomatischen oder milden bis moderaten Infektionsverlauf. 0,18 Prozent der Kinder mit klinisch manifester COVID-19 sterben, meist allerdings infolge eines pädiatrischen entzündlichen Multisystemsyndroms (PIMS). Insgesamt liegt die für Kinder errechnete Mortalität bei 0,0018 Prozent.

Gegen COVID-19 sind in der EU für Personen ab 16 beziehungsweise 18 Jahren aktuell die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna sowie die Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson zugelassen. Die Frage sei, so Zepp, unter welchen Voraussetzungen diese Impfstoffe angesichts der geringen Morbidität und Mortalität bei einer SARS-CoV-2-Infektion in dieser Altersgruppe überhaupt eingesetzt werden sollten.

Anders sei dies bei besonders Gefährdeten, also bei Kindern mit Grunderkrankungen wie Mukoviszidose oder chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die einen komplizieren Infektionsverlauf begünstigen können. Weil das Risiko für diese Gruppe größer sein könnte als das der Allgemeinheit, könne hier möglicherweise auch eine Rechtfertigung für einen (noch) Off-Label-Use bestehen. Eine Impfung zum Schutz vor Virusübertragung, so Zepp, sei allerdings sehr fragwürdig, da wir noch immer nicht genau wüssten, in welchem Umfang die Impfung die Transmission tatsächlich verhindert.

Studien mit Kindern laufen

Derzeit laufen von allen Herstellern der in der EU für Erwachsene zugelassenen Impfstoffe Studien mit Kindern ab zwölf Jahren. Der Impfstoff Comirnaty® von BioNTech/Pfizer ist in Kanada bereits für 12-15-Jährige zugelassen worden, in den USA steht die Zulassung kurz bevor. Auch bei der EMA wurde ein Zulassungsantrag eingereicht, Experten rechnen mit einer Entscheidung im Juni.

In den Zulassungsstudien hat sich durchweg auch in dieser Altersgruppe eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit bestätigt. Moderna hat sogar bereits das Säuglingsalter einbezogen.

Zur Prognose des zu erwartenden Zeitplans zitierte Zepp den US-amerikanischen Immunologen Anthony Fauci: „Im Herbst 2021 werden wir Impfstoffe für junge Menschen ab zwölf Jahren haben. Anfang nächsten Jahres werden wahrscheinlich Impfstoffe für Vier- oder Sechsjährige folgen. Säuglinge werden wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres ein Thema sein, da sie die geringste Morbidität aufweisen, selbst dann, wenn sie Neugeborene von erkrankten Müttern sind.“

Quelle: www.aerztezeitung.de

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