Dünne Evidenz zum Zusammenhang von Ernährung und Krebs

Welchen Einfluss hat die Ernährung auf das Krebsrisiko? Obwohl bereits rund 1000 Metaanalysen zu diesem Thema existieren, gibt es nur eine Handvoll Erkenntnisse – und kaum überzeugende Evidenz. Das wird sich auch nicht ändern.

von Thomas Müller
10.09.2021

Wie beeinflusst die Ernährung das Krebs-Risiko? Dazu gibt es nur bei einer Handvoll Nahrungsmitteln eine gesicherte Datenlage.
© Foto: fcafotodigital / Getty Images / iStock
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Das Wichtigste in Kürze

  • Frage:Welche Nahrungsmittel haben einen Einfluss auf das Krebsrisiko?
  • Antwort:Einer Übersicht von 860 Metaanalysen zufolge gibt es eine starke Evidenz, wonach Alkohol mit einem erhöhten Risiko für Darm-, Leber- und Brustkrebs einhergeht, Milch- und Vollkornprodukte dagegen mit einem niedrigeren Darmkrebsrisiko assoziiert sind.
  • Bedeutung:Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs wird möglicherweise überschätzt.
  • Einschränkung:Indirekte Analyse.

Unzählige epidemiologische Studien haben bereits den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Ernährungsweise oder einzelnen Nahrungskomponenten auf das Krebsrisiko untersucht – so viele, dass bereits rund 1000 Metaanalysen zu diesem Thema existieren.

860 davon haben nun Epidemiologen um Dr. Nikos Papadimitriou genauer unter die Lupe genommen. Die allermeisten haben überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und Krebsrisiko gefunden, nur 29 Prozent lieferten statistisch signifikante Resultate auf Basis einer Fehlerwahrscheinlichkeit von fünf Prozent, nur acht Prozent bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit von ein Prozent, und ganze 25 Metaanalysen (drei Prozent) erzielten hochsignifikante Ergebnisse (Nature Commun 2021; online 28. Juli).

Das Fazit der Epidemiologen: Einen Einfluss auf das Krebsrisiko hat die Nahrung allenfalls dort, wo sie direkt vorbeifließt. Das betrifft primär den Verdauungstrakt und – was Alkohol betrifft – auch die Leber. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden lediglich Brusttumoren – auf sie wirkt sich Alkohol ebenfalls ungünstig aus.

Die meisten Metaanalysen zum Kolorektalkarzinom

Gut ein Viertel der Metaanalysen widmete sich Studien zu Kolorektalkarzinomen, knapp ein Fünftel Untersuchungen zu Brustkrebs, ähnlich viele gab es zu Lungen- und Magenkrebs. Im Median wurden in den Metaanalysen vier Studien bewertet, manche enthielten über 30, viele aber auch nur zwei Studien, was den Begriff Metaanalyse reichlich strapaziert.

Die Forscher um Papadimitriou fanden teilweise eine erhebliche Heterogenität der Analysen, auch waren die Resultate zum Teil durch eine Übergewichtung kleiner Studien verzerrt (small study effects bias, acht Prozent) oder durch die Anreicherung von Studien mit signifikanten Resultaten (excess significance bias, 14 Prozent).

Wurden solche Probleme berücksichtigt und die vorhandene Evidenz aus den Studien zusammengefasst, so ergaben sich nur recht selten konsistente und statistisch belastbare Zusammenhänge. Sehr glaubwürdig („strong evicence“) sind den Forschern zufolge nur Resultate von zehn Metaanalysen (1,2 Prozent).

Milch, Vollkorn und Alkohol

Danach steigt pro Glas Bier oder Wein am Tag (20 g/d Alkohol) das Darmkrebsrisiko um 14 Prozent, pro Portion Milchprodukte (400 g/d) sinkt es hingegen um 13 Prozent. Milch selbst (200 g/d) geht mit einem um sechs Prozent, viel Kalzium mit einem um 17 Prozent reduzierten Darmkrebsrisiko einher und mit Vollkornprodukten (90 g/d) war das Risiko um 16 Prozent niedriger.

Für Brustkrebs ergibt sich ein deutlicher Zusammenhang nur mit dem Alkoholkonsum: Bei einem Glas Bier oder Wein täglich (20 g/d Alkohol) war das Risiko um 24 Prozent höher. 13 weitere Analysen wurden mit einem Evidenzgrad niedriger bewertet („highly suggestive evidence“).

Hier gesellen sich zu den alkoholophilen Tumoren noch solche der oberen Verdauungswege und der Leber. Danach war bei 20 g/d Alkohol das Risiko von Ösophagustumoren um 66 Prozent höher sowie bei Kopf- und Halstumoren um 30 Prozent höher. Die Leberkrebsmortalität war um vier Prozent höher.

Dagegen gab es mit Kaffee solchen Studien zufolge weniger Leberkrebs – 15 Prozent geringer war das Risiko bei einer Tasse am Tag – und Basalzellkarzinome (fünf Prozent weniger pro Tasse).

Begleitfaktoren nicht immer berücksichtigt

Werden die Ansprüche an die Evidenz noch etwas zurückgefahren („suggestive evidence“) tauchen auch viel diskutierte Zusammenhänge wie hohes Darmkrebsrisiko bei rotem Fleisch und weniger Darm- und Brustkrebs bei Ballaststoffen auf. Die Forscher um Papadimitriou geben aber zu bedenken, dass in solchen Analysen Begleitfaktoren wie BMI und körperliche Aktivität nicht immer berücksichtigt wurden.

Rein statistisch betrachtet ist es nach den Berechnungen der Wissenschaftler sehr unwahrscheinlich, dass weitere Studien an den Resultaten in den obersten Evidenzkategorien viel ändern. Die sogenannte „Fail-Safe Number“ (FSN) in den Strong-Evidence-Metaanalysen war deutlich höher als die Zahl der enthaltenen Studien.

Das bedeutet, nur eine unplausibel hohe Zahl weiterer Studien könnte das Ergebnis noch verwässern, dagegen würden in den unteren Evidenzkategorien wenige neue Studien genügen, um den jeweiligen Zusammenhang zunichtezumachen oder zu drehen.

Hinzu kommt, dass die 613 Metaanalysen ohne signifikante Resultate im Schnitt jeweils mindestens zehn weitere Studien benötigen würden, um zu signifikanten Ergebnissen zu kommen. All das spricht dafür, dass die vielen weiteren Studien und Metaanalysen, die mit Sicherheit noch kommen, an der vorhandenen Evidenz wenig ändern.

    Quelle: www.aerztezeitung.de

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