Entwicklungsstörung nach Fieberkrampf bei fast jedem zweiten Kind

Fast jedes zweite Kind mit Fieberkrämpfen zeigt in den ersten zehn Lebensjahren Symptome neurologischer und psychischer Entwicklungsstörungen wie ADHS und Dyspraxie. Darauf deuten die Ergebnisse einer kleinen schwedischen Untersuchung hin.

von Thomas Müller
28.12.2021

Mit jedem Fieberkrampf, den ein Kind durchmacht, erhöht sich das Risiko für weitere.
© Foto: Silroby / Fotolia
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Das Wichtigste in Kürze

Frage: Gehen Fieberkrämpfe bei Kindern mit einem erhöhten Risiko für neuropsychologische Entwicklungsstörungen einher?

Antwort: Eine kleine schwedische Untersuchung weist in diese Richtung.

Bedeutung: Etwa die Hälfte der Kinder mit Fieberkrämpfen entwickelt in Laufe von zehn Jahren neuropsychologische Auffälligkeiten.

Einschränkung: Empfindlicher Fragebogen, klinischer Wert der Auffälligkeiten unklar, keine direkte Vergleichsgruppe, zweite Befragung unvollständig.

Epileptische Anfälle bei Kindern gefährden massiv die Hirnentwicklung, und das scheint einigen Studien zufolge in einem gewissen Maße auch für Fieberkrämpfe zu gelten. So wiesen Kinder mit Fieberkrämpfen in einigen Untersuchungen später oft schlechtere kognitive Leistungen auf als nicht betroffene Kinder, auch traten Autismuserkrankungen und ADHS häufiger auf. Andere Studien konnten hingegen keinen klaren Zusammenhang zwischen Fieberkrämpfen und Entwicklungsproblemen nachweisen. 

Neurologen und Psychiater um Gill Nilsson von der Universität in Göteborg haben nun in einer kleineren Langzeitstudie ebenfalls Hinweise auf Entwicklungsauffälligkeiten nach Fieberkrämpfen gefunden. Nach zehn Jahren zeigten über 40% der Betroffenen neuropsychologische Probleme.

41% mit Auffälligkeiten

Basis der Untersuchung bildete eine Befragung, in die vor mehr als zehn Jahren die Eltern aller vierjährigen Schüler aus Göteborg einbezogen wurden. Danach hatten 157 der Kinder (3,7%) schon einmal unter Fieber gekrampft. Etwas weniger als die Hälfte der Eltern erklärte sich bereit, die Kinder im Anschluss auf die Befragung auf Entwicklungsstörungen untersuchen zu lassen. Bei 25 von 73 Kindern, also rund einem Drittel, waren die Ärzte fündig geworden.

Fünf Jahre später wurden die Eltern erneut kontaktiert und um eine Nachuntersuchung ihrer Kinder gebeten. Eltern von 54 nun neun- bis zehnjährigen Kindern willigten ein. Das Team um Nilsson verwendete hierfür den Fragebogen A-TAC (Autism-Tics, ADHD and other comorbidities). Dieser enthält Fragen zu Bewegungs- und Koordinationsvermögen, Lernfähigkeit, Sprechvermögen, Tics, sozialer Kompetenz und andere neuropsychologischen Feldern. Er liefert zudem Grenzwerte, die auf eine Dyspraxie, ein ADHS, eine Autismusstörung oder intellektuelle Defizite weisen.

Wie sich zeigte, war ein Viertel der Kinder beim A-TAC-Fragebogen auffällig, der Anteil war damit allerdings nicht höher als in Validierungsstudien mit einer ähnlich alten Allgemeinbevölkerung. Jedoch überwog bei der zweiten Befragung der Anteil der Kinder, die schon in der ersten Untersuchung fünf Jahre zuvor unauffällig waren. Dagegen hatten von den 19 Kindern, zu denen die Eltern beim zweiten Mal nicht mehr befragt werden konnten, mehr als die Hälfte im Alter von vier bis fünf Jahren Entwicklungsprobleme. Die erste und zweite Untersuchung zusammengenommen ließen sich bei 30 von 73 Kindern (41%) mit Fieberkrämpfen im Laufe von neun bis zehn Jahren Entwicklungsprobleme nachweisen, da aber nicht alle Eltern ein zweites Mal befragt werden konnten, dürfte der kumulative Anteil noch höher sein. Auf der anderen Seite zeigte etwa ein Drittel der Kinder mit positiven Befunden bei der ersten Untersuchung keine Auffälligkeiten mehr bei der zweiten.

Während der ersten Untersuchung ergaben sich bei 18 Kindern Hinweise auf eine ADHS, acht hatten eine Dyspraxie, ebenso viele Probleme mit der Sprachentwicklung, vier intellektuelle Beeinträchtigungen, einer eine Autismusdiagnose, elf waren bei mindestens zwei Problemen auffällig. In der zweiten Untersuchung überwogen ADHS-Symptome, Lernprobleme und Dyspraxie.

Fieberkrampf ist nicht gleich Fieberkrampf

Aufgrund der unvollständigen zweiten Untersuchung und einer fehlenden direkten Vergleichsgruppe mit Kindern ohne Fieberkrämpfe ließen sich leider keine klaren Schlussfolgerungen aus der Untersuchung ziehen, geben die Studienautoren selbst zu bedenken. Es bleibt wohl bei einem Hinweis auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für neuropsychologische Entwicklungsprobleme nach Fieberkrämpfen.

Ein generelles Problem ist die schwere Vergleichbarkeit einzelner Studien. Ob eine Entwicklungsauffälligkeit erkannt wird, hängt stark davon ab, wie solche Auffälligkeiten definiert werden, und hier unterscheiden sich die einzelnen Fragebögen deutlich. A-TAC scheint recht empfindlich zu sein. Auf der anderen Seite sind Fieberkrämpfe nicht gleich Fieberkrämpfe. Es gibt simple und komplexe Krämpfe. Auch wäre es angelehnt an die Epilepsie plausibel, dass das Risiko für Hirnentwicklungsstörungen mit der Dauer, der Schwere und der Häufigkeit solcher Krämpfe zunimmt, all das wurde in der Studie nicht untersucht.

Quelle: www.springermedizin.de

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