Frauen mit Diabetes sollten aufs Kinderkriegen vorbereitet sein

Eine gute Diabetes-Einstellung vor der Konzeption und über die gesamte Schwangerschaft erhöhen die Chance auf ein gesundes Kind. Eine britische Studie zeigt, dass da allerdings Vieles im Argen liegt.

von Von Dr. Helmut Kleinwechter
27.05.2021

Schwangerschaftstest positiv: Frauen mit Diabetes sind spätestens jetzt an ein erfahrenes Zentrum zu überweisen.
© Foto: zilvergolf / stock.adobe.com
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Werden Frauen mit Diabetes schwanger, dann ist meist ihre gesundheitliche Situation nicht optimal. Dies steigert die Raten angeborener Fehlbildungen, Totgeburten und neonataler Komplikationen, was jetzt auch die bisher größte populationsgestützte Kohortenstudie zum Thema bestätigt.

Besonders schlechte Stoffwechseleinstellung in der Schwangerschaft sowie Übergewicht verschlechtern die Prognose, wie die Audit-Studie „National-Pregnancy-in-Diabetes“ (NPID) in Großbritannien ergeben hat. Erste Fünf-Jahres-Ergebnisse hat jetzt ein Team um Professor Helen Murphy von der University of East Anglia in Norwich vorgelegt (Lancet Diabetes Endocrinol. 2021, online 28. Januar).

Häufig bedenkliche Arzneien

Die Forscher hatten 17.375 Schwangerschaften aus 172 Kliniken von 2014 bis 2018 ausgewertet. Je die Hälfte der Schwangeren war an Typ-1- oder an Typ-2-Diabetes erkrankt. Frauen mit Typ-2-Diabetes waren im Mittel älter als Frauen mit Typ-1-Diabetes (34 vs. 30 Jahre) und im Vergleich kürzer an Diabetes erkrankt (3 vs. 13 Jahre). Typ-2-Diabetikerinnen stellten sich zudem im Vergleich etwa zwei Wochen später erstmals in der Schwangerschaft vor. Sie wurden auch öfter mit problematischen Antihypertensiva und Lipidsenkern behandelt (15,6 vs. 5,2 Prozent). Allerdings ging bei Schwangeren mit Typ-2-Diabetes im Verlauf der Fünf-Jahres-Studie der Anteil potenziell nachteiliger Medikamente zurück.

Frauen mit Typ-2-Diabetes nahmen zudem im Vergleich besonders selten perikonzeptionell Folsäure ein (22,2 vs. 44,1 Prozent). Die Prophylaxe von Neuralrohrdefekten mit Folsäure blieb bei Typ-2-Frauen in den fünf Jahren enttäuschend niedrig.

Viele erreichen das HbA1c-Ziel nicht

Präkonzeptionell waren 18,5 Prozent der Frauen mit Typ-2-Diabetes mit Insulin behandelt worden, 64,9 Prozent mit Metformin. Das HbA1c-Ziel (<6,5 Prozent) erreichten im 1. Trimester nur 15,9 (Typ 1) und 36,5 Prozent (Typ 2), im 3. Trimester waren es 41,7 und 73,7 Prozent.

Der Raten von Frühgeburten, makrosomen Babys und Verlegungen in die Neonatalogie waren bei Typ-1-Diabetes im Vergleich höher. Bei Typ-2-Diabetes war es die Rate an Mangelgeburten. Insgesamt gab es in der NPID-Gruppe 195 Totgeburten, 150 neonatale Todesfälle und 695 kongenitale Fehlbildungen. Der Anteil von Totgeburten war in beiden Gruppen ähnlich, bei Typ-2-Diabetes war die Rate neonataler Todesfälle höher.

Das höchste Risiko für perinatalen Tod hatten Kinder von Frauen:

  • mit HbA1c-Werten über 6,5 Prozent im 3. Trimenon (OR 3,06),
  • aus sozial schwachen Gruppen (unterstes Deprivationsquintil, OR 2,29);
  • mit Typ-2-Diabetes (OR 1,65).

Das höchste Risiko für kongenitale Fehlbildungen hatten Kinder von Frauen mit

  • HbA1c-Werten über 6,5 Prozent im 1. Trimenon (OR 1,7) oder
  • fehlender Einnahme von Folsäure (OR 1,31).

Risiko wird nicht ernst genommen

Die Qualität der Stoffwechseleinstellung in der Schwangerschaft sowie der BMI sind die wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren. Auch jede dritte Schwangere mit Typ-1-Diabetes war übergewichtig und jede vierte adipös. Frauen mit Typ-1-Diabetes sollten daher von Beginn ihrer Krankheit an diätetisch und psychosozial unterstützt werden, um ihr Körpergewicht und ihr HbA1c-Niveau so zu führen, dass sie jederzeit gut auf eine Schwangerschaft vorbereitet sind.

Zudem bestätigt sich erneut, dass bei den jungen Frauen mit Typ-2-Diabetes aufgrund der kurzen Diabetesdauer die Risiken nicht ernst genommen werden. Betroffene stellen sich zu spät vor, viele nehmen noch die kontraindizierten oralen Antidiabetika, ACE-Hemmer und AT-1-Rezeptorenblocker sowie Lipidsenker ein.

Die Studienautorin Helen Murphy hat sich bisher besonders für eine technische Versorgung von Schwangeren mit Diabetes eingesetzt, etwa mit Insulinpumpen und CGM. Das hört sich nun in der Diskussion zur Studie anders an: Technik sei bei den Frauen mit dem höchsten Risikoprofil zwar erforderlich. Aber ob auch gerade diejenigen mit dem höchsten Risiko gewinnbringend mit „Technologie“ umgehen könnten, sei eine noch unbeantwortete Frage, so Murphy.

Fazit für die Praxis

Die Ergebnisse der NPID-Studie liefern einen ganz einfachen Auftrag. Frauen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes gehören bei Kinderwunsch unverzüglich in die Hände erfahrener diabetologischer Zentren. Hier wird man sich zunächst auf therapeutische Strategien zur Verbesserung des HbA1c-Niveaus und des Körpergewichts konzentrieren.

Die elaborierte Technik kann erst einmal im Schrank bleiben. Die diabetologische Kunst wird es sein, sie zur richtigen Zeit herauszuholen und bei den richtigen Frauen einzusetzen.

Dr. Helmut Kleinwechter

  • Internist und Diabetologe. Er hat bis 2017 in Kiel eine Diabetes-Schwerpunktpraxis geleitet.
  • Aktuell ist er als Gerichtsgutachter, wissenschaftlicher Ko-Leiter beim Diabetes Update und in der diabetologischen Fortbildung tätig.

Quelle: www.aerztezeitung.de

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