Gestationsdiabetes: Mit richtigem Screening gegen Überdiagnostik

In Deutschland wird ein zweizeitiges Screening auf Gestationsdiabetes empfohlen, die WHO präferiert ein einzeitiges Screening. Beide Vorgehen und die jeweiligen Vorteile erklärt Dr. Helmut Kleinwechter in einem Gastbeitrag.

von Dr. Helmut Kleinwechter
18.10.2021

Frohe Hoffnung: Früherkennung von Gestationsdiabetes und angemessene Therapie senken das Risiko für Fehlbildungen beim Kind.
© Foto: Julia Lazebnaja / stock.adobe.com
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. Gestationsdiabetes mellitus (GDM) gehört zu den häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. Allein in Deutschland waren 2019 über 50.000 Frauen davon betroffen. Weltweit wird über die optimale Screening-Strategie weiter debattiert. Und das, obwohl im März die Studie „ScreenR2GDM“ (NEJM 2021; 384: 895) ein klares Ergebnis gebracht hatte (wir berichteten).

Nach einem einzeitigen Zuckerbelastungstest wurde darin bei doppelt so vielen Schwangeren die Diagnose Gestationsdiabetes mellitus (GDM) gestellt wie nach zweizeitigem. Trotzdem ließ sich bei einzeitigem Screening die Rate der mütterlichen oder neonatalen Komplikationen im Vergleich zum zweizeitigen Vorgehen nicht verbessern.

WHO empfiehlt einzeitigen Test

Zur Diagnostik wird bei uns zwischen 24 und 28 SSW ein 50-g-Screeningtest empfohlen; bei positivem Ergebnis folgt ein 75-g-oGTT (oraler Glukosetoleranztest) für eine endgültige Diagnosestellung. Diese zweizeitige Test-Strategie entspricht den Carpenter-Coustan (CC)-Kriterien. Die WHO rät hingegen zu einem Test nach Kriterien der „International Association of the Diabetes and Pregnancy Study Groups“ (IADPSG) mit nur einem (einzeitigen) 75-g-oGTT.

Neue Erkenntnisse zu den Strategien bietet jetzt der „Comparison of Two Screening Strategies for Gestational Diabetes“ („GDM2“). Eine Arbeitsgruppe um Dr. Esa Davies von der Universitäts-Frauenklinik in Pittsburgh im US-Staat Pennsylvania hat die Ergebnisse jetzt vorgestellt. In der verblindeten, randomisiert-kontrollierten Studie wurden die beiden GDM-Screening-Strategien untersucht, und zwar hinsichtlich ihrer Effektivität bei Ergebnisdaten der Schwangerschaft.

Von 2015 bis 2019 wurden 921 Schwangere im Alter von 18 bis 45 Jahren in die Studie eingeschlossen. Je etwa die Hälfte wurde nach dem Zufallsprinzip entweder nach den IADPSG-Kriterien (einzeitiger Test) oder den CC-Kriterien (zweizeitiger Test) gescreent. Primärer Endpunkt war die Inzidenz für eine Geburt eines Kindes „Large for Gestational Age“ (LGA).

Zwischen 24+0 und 28+6 SSW erhielten alle Frauen einen 50-g-Vortest. Bei einem Blutzuckerwert <200 mg/dl wurden sie für eine der beiden Screening-Strategien randomisiert und erhielten alle den 75-g-oGTT über 2 h oder den 100-g-oGTT über 3 h im Zeitraum 25–32 SSW. In der IADPSG-Gruppe wurde aber das Ergebnis des vorgeschalteten Suchtests ignoriert. Ergebnis: Die GDM-Inzidenz lag in der IADPSG-Gruppe mit 14,5 Prozent (N=62) statistisch signifikant höher als in der CC-Gruppe mit 4,5 Prozent (N=18).

Die Indikation zur medikamentösen Therapie wurde gestellt, wenn 30 bis 50 Prozent der kapillären Blutglukose-Selbstmessungen aus einem 4-Punkt-Tagesprofil überschritten wurden (Nüchtern 95 mg/dl, 1 h postprandial 140 mg/dl).

In der IADPSG-Gruppe wurde in 9,3 Prozent der Fälle und in der CC-Gruppe in 2,4 Prozent der Fälle medikamentös therapiert (p<0,001), meist wurde Insulin eingesetzt. Die Large-for-Gestational-Age (LGA)-Inzidenz zeigte in der Gesamtgruppe mit 7,7 Prozent (IADPSG) vs. 8,5 Prozent (CC) keinen statistisch signifikanten Unterschied (RR 0,90). Das galt auch für die Schwangeren ohne GDM (RR 0,85). Raten an SGA-Neugeborenen, Sectiones und beim kombinierten mütterlichen sekundären Endpunkt zeigten keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Die neonatale Morbidität mit einem kombinierten Endpunkt (Hypoglykämie binnen 24 Lebensstunden, Hyperbilirubinämie mit Lichttherapie, Totgeburt, Geburtstrauma) war in der IADPSG-Gruppe mit 18,8 vs. 13,4 Prozent statistisch signifikant höher (RR 1,40), aber sowohl die Rate an Neonatologie-Verlegungen als auch die Aufenthaltsdauer dort waren in beiden Gruppen ohne Unterschied.

Die häufigste studienbezogene Nebenwirkung war eine reaktive Hypoglykämie nach dem oGTT, diese trat in der IADPSG-Gruppe mit 4,3 Prozent statistisch signifikant seltener auf als in der CC-Gruppe mit 17,8 Prozent (p<0,001). Alle Frauen erhielten einen Gutschein für einen Snack und eine Mahlzeit. Sofern sie Symptome einer Hypoglykämie angaben, wurden sie persönlich von einem Mitglied des Forschungsteams kontaktiert.

Zusammenfassend stellen die Autoren fest, dass das GDM-Screening nach den IADPSG-Kriterien im Vergleich zu den CC-Kriterien mehr Schwangere mit einem GDM diagnostiziert. Zudem erhalten Schwangere nach IADPSG-Screening häufiger eine medikamentöse Therapie, meist mit Insulin, ohne dass die LGA-Inzidenz und mütterliche oder neonatale Morbidität reduziert werden.

Deutsches Vorgehen ist angemessen

Fazit: Eine besondere Stärke von „GDM2“ war die Rekrutierung und Therapie in einem üblichen Betreuungssetting. Um eine verlässliche Aussage zu erhalten, mussten entgegen dem üblichen Vorgehen alle Frauen in der CC-Gruppe den 100-g-oGTT absolvieren. Das erklärt den höheren Anteil an reaktiven Hypoglykämien nach dem Test.

Berücksichtigt man, dass üblicherweise nur 15 bis 20 Prozent der Frauen den Test nach positivem Vortest benötigen, liegt die Rate an Nebenwirkungen nicht bei 17,8 Prozent, sondern nur bei 4 Prozent. Es ist daher sinnvoll, im Rahmen der oGTT-Prozedur allen Schwangeren zu empfehlen, direkt nach Ende des Tests eine kohlenhydrathaltige Mahlzeit einzunehmen.

„ScreenR2GDM“ und „GDM2“ haben gezeigt, dass der in Deutschland in den Mutterschaftskriterien vorgesehene 50-g-Vortest für die Frauen angemessen ist. Einzeitiges Vorgehen und auch die IADPSG-Kriterien stehen nun in der Kritik: Ein 50-g-Vortest und Kriterien mit zwei erhöhten Grenzwerten vermeiden unnötige Pathologisierung von Schwangeren, führen zu weniger Überwachung sowie diabetologischen und geburtsmedizinischen Interventionen. Ein Nachteil entsteht dadurch nicht.

Quelle: www.aerztezeitung.de

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