Gesundheitsberufe: Mehr als jeder Zweite will den Job nicht bis zur Rente ausüben

Fast die Hälfte der Beschäftigten im Gesundheitswesen würden ihren Beruf jungen Leuten nicht empfehlen. Das zeigt die Berufe-Studie 2021 des Versicherers HDI. Die Corona-Pandemie hat ihr Übriges beigetragen.

von Ilse Schlingensiepen
22.01.2022

Pflegekräfte auf Intensivstation:
© Foto: © Robin Utrecht / picture alliance (Symbolbild mit Fotomodellen)
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Beschäftigte im Gesundheitswesen haben eine negativere Einstellung zum eigenen Beruf als in anderen Bereichen Tätige. 40 Prozent würden ihren Beruf jungen Leuten nicht empfehlen. Noch nicht einmal die Hälfte (46 Prozent) geht davon aus, ihn bis zum regulären Rentenalter auszuüben.

Das zeigt die repräsentative Berufe-Studie 2021 des Versicherers HDI. Im Juni und Juli 2021 hatte das Meinungsforschungsinstitut YouGov in seinem Auftrag 3716 Erwerbstätige bundesweit befragt. Von ihnen arbeiteten 282 in Gesundheitsberufen, und zwar sowohl Angestellte als auch Selbstständige. Der Schwerpunkt lag bei Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden, die Ergebnisse wurden nicht nach den einzelnen Berufsgruppen differenziert. Die Weiterempfehlungsbereitschaft ist in den Gesundheitsberufen so gering wie in keinem anderen Sektor. Der Wert hat sich zudem von 37 Prozent im Jahr 2019 und 39 Prozent im Vorjahr weiter verschlechtert. Über alle Branchen würden nur 26 Prozent ihren Beruf nicht empfehlen.

Corona-Pandemie hat Folgen

Bei 23 Prozent ist die Einstellung zum Beruf durch die Corona-Pandemie negativer geworden. Nur in der Tourismus-Branche haben die Meinungsforscher mit 32 Prozent einen höheren Wert ermittelt. Der Bundesschnitt liegt hier bei 15 Prozent. 33 Prozent rechnen damit, dass durch die Corona-Krise die Bereitschaft zum Berufswechsel allgemein steigen wird. Über alle Branchen sind das 27 Prozent.

YouGov hat nach den Faktoren gefragt, die die Arbeit besonders belasten. Bei den Kategorien Zeitdruck (ihn nannten 48 Prozent), körperlich harte Arbeit (29 Prozent) und die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf (26 Prozent) liegen die Gesundheitsberufe jeweils an der Spitze.

Gleichzeitig sehen 69 Prozent ihre Arbeit als sinnstiftend für die Gesellschaft, während der Schnitt bei 51 Prozent liegt. Für 62 Prozent bedeutet die Berufsausübung mehr, als damit nur Geld zu verdienen (Durchschnitt: 55 Prozent).

Ergebnisse „besorgniserregend“

Die Erwerbstätigten seien insgesamt positiv gestimmt, sagte Dr. Christopher Lohmann, Vorstandsvorsitzender der HDI Deutschland AG, bei einem digitalen Pressegespräch. „Bei den Gesundheitsberufen ist das in besonderem Maße nicht der Fall. Das finden wir alarmierend.“

Professor Edgar Schömig, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Köln, bezeichnete die Ergebnisse der Studie als besorgniserregend. „Wir müssen uns auf das Gesundheitswesen verlassen“, sagte er. „Das sind keine Tätigkeiten, die man globalisieren kann.“

Schömig verwies auf die Heterogenität des Gesundheitswesens mit vielen Gesundheitsberufen und unterschiedlichen Arbeitsbedingungen. Mitarbeiterbefragungen an der Kölner Klinik in den Jahren 2018 und 2021 zeigten einen anderen Trend als die HDI-Studie, betonte er. „Bei uns ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter in der Corona-Krise gestiegen.“ Ein Grund könne sein, dass die Mitarbeitenden sehr deutlich spüren, welche wichtige Rolle die Uniklinik als Maximalversorger in der Pandemie spielt.

Was lässt sich verbessern?

Der Unmut und die Unzufriedenheit in den Gesundheitsberufen lassen sich überwinden, glaubt der Arzt. Er nannte flexible Arbeitszeitmodelle und verlässliche Arbeitszeiten als Instrumente, die sich in seinem Haus bewährt haben. Handlungsbedarf sieht Schömig bei der Ausbildung und der Vergütung der Gesundheitsberufe. „Das Expertenwissen korreliert in manchen Bereichen nicht mit der Bezahlung.“

Hinweise dafür, dass die Unzufriedenheit im Beruf und Abwanderungstendenzen zu mehr Behandlungsfehlern führen könnten, sieht der HDI nicht. „Die Daten geben keine Steigerung her, wir sehen eher einen Rückgang“, sagte Christian Kussmann, im Vorstand der HDI Versicherungen verantwortlich für die Absicherung der Heilwesenberufe.

Der HDI versichert nach seinen Angaben in der Berufshaftpflicht über 120 000 Ärztinnen und Ärzte und ist damit Marktführer.

Quelle: Ärzte Zeitung

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