Herzrisiken durch Süßstoff Erythrit? Vorsicht ist ratsam

Der Zuckeraustauschstoff Erythrit ist mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert. Dabei nutzen gerade Risikopersonen den Süßstoff, um Kalorien zu sparen. Ärztinnen und Ärzte sollten sie über mögliche Folgen aufklären, meint Prof. Stephan Martin.

von Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Stephan Martin
21.04.2023

Süßen ohne Dickmacher? Der Zuckeraustauschstoff Erythrit enthält so gut wie keine Kalorien, es gibt aber Hinweise auf kardiovaskuläre Risiken
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Nachdem eszunehmend Hinweise auf mögliche erhebliche Gesundheitsgefahren durch künstliche Süßstoffe gibt,rücken alternativ zu Haushaltszucker kalorienarme Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit (E420), Xylit (E967) oder Erythrit (E966) in den Vordergrund. Diese Substanzen sind Zuckeralkohole und wirken (mit Ausnahme von Erythrit) in höheren Dosen laxierend. Weitere Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt, sodass der Verzehr als unbedenklich gilt.

Da Erythrit so gut wie keine Kalorien enthält und sich nicht auf den Blutzucker auswirkt, nutzen es vor allem auch adipöse Menschen mit Typ-2-Diabetes. Nach Studiendaten wird auch im Körper Erythrit in geringen Mengen aus Glukose synthetisiert. Bei adipösen jungen Erwachsenen ließen sich zudem im Vergleich zu Normalgewichtigen signifikant höhere Spiegel im Blut nachweisen (Proc Natl Acad Sci USA. 2017; 114: E4233).

Jetzt hat eine hochrangig publizierte Studie die Fachwelt aufgeschreckt (Nat Med. 2023; online 27. Februar): Ein internationales Forschungsteam unter Mitwirkung mehrerer Institutionen in Berlin hatte im Serum von 1.157 Menschen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko nach Stoffwechselprodukten gesucht, die mit einem erhöhten Drei-Jahres-Risiko für ein sogenanntes „major adverse cardiovascular event“ (MACE) assoziiert waren (Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt, Schlaganfall). Dabei fanden sich vermehrt Zuckeralkohole und besonders Erythrit.

Assoziation mit erhöhtem MACE-Risiko

Zwei weitere Kohorten mit 2.149 und 833 Risikopersonen wurden abhängig von der Erythrit-Serumkonzentration in Quartile unterteilt. Das Ergebnis: Probanden aus den Quartilen mit den höchsten Erythrit-Werten hatten im Vergleich zu Probanden aus dem niedrigsten Quartil ein signifikant erhöhtes MACE-Risiko (Hazard Ratio: 1,80; 95-%-K: 1,18–2,77 und HR 2,21; 95-%-KI: 1,20–4,07). In In-vitro- und In-vivo-Studien erhöhte Erythrit in physiologischen Mengen die Thrombozytenreaktivität und verstärkte die Thrombosebildung.

Nach Einnahme von Erythrit stiegen zudem bei acht gesunden Freiwilligen die Plasmaspiegel deutlich und über mehrere Tage an. Die gemessenen Erythrit-Konzentrationen lagen über dem Schwellenwert, der in den In-vitro- und In-vivo-Studien zu erhöhter Thrombozytenreaktivität geführt hatte.

Das Fazit: Erythrit und andere Zuckeralkohole scheinen also nicht so unbedenklich zu sein, wie bisher angenommen. Da Erythrit ein Nahrungsergänzungsmittel ist, sind vor Markteintritt keine randomisierten kontrollierten Studien nötig, wie dies bei Arzneien der Fall ist. Überraschenderweise halten Ernährungswissenschaftler esin einem Kommentar zur aktuellen Studienoch zu früh, vor Erythrit zu warnen. Es sollte auf Ergebnisse aus kontrollierten Studien gewartet werden.

Solche Studien zu Erythrit wurden bisher nicht gestartet, wie ein Blick in die DatenbankClinicalTRials.govzeigt; sie sind auch in Zukunft nicht zu erwarten. Das heißt: Der Verdacht einer möglichen schweren Gesundheitsgefahr durch Erythrit wird in absehbarer Zeit nicht in kontrollierten Studien geklärt werden. Bei einem Medikament hätte man schon bei geringeren kardiovaskulären Sicherheitssignalen Rote-Hand-Briefe versendet oder es sogar vom Markt genommen.

Behörden-Warnung unwahrscheinlich

An dieser Situation wird sich in Deutschland in absehbarer Zeit nichts ändern! Politische Entscheidungen dazu würden bereits an der Frage scheitern, ob das Ernährungs-, das Verbraucherschutz- oder das Gesundheitsministerium dafür zuständig sind oder auch Bundes- oder Länderbehörden. Auch von staatlich finanzierten Ernährungsinstituten oder Lehrstühlen ist keine Lösung zu erwarten, denn hier gibt es – zumindest in Deutschland – keine Kompetenz bei der Konzeption und Durchführung entsprechender Endpunktstudien.

Da es sich bei Erythrit um eine Substanz für Massenprodukte handelt, werden die Hersteller und Anbieter vermutlich Zweifel an der Aussagekraft der aktuellen Daten schüren. Haben wir also eine realistische Chance, dass Patienten nicht nur vor einem erhöhten Konsum von Zucker, sondern auch vor alternativen Süßungsmitteln gewarnt werden?

Sind die Ergebnisse der Studie nur ansatzweise korrekt, dann würden speziell Risikogruppen – etwa adipöse Menschen mit Typ-2-Diabetes –, die sowieso schon ein erhöhtes Risiko haben, mit Erythrit in kardiovaskuläre Ereignisse getrieben! Werden die Politik und andere öffentliche Institution nicht tätig, liegt die Verantwortung für das Wohl der Betroffenen in unseren Händen: den klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten!

Professor Stephan Martinist Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.

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