Migräne – diesen Einfluss haben Gerüche auf das Schmerzempfinden

Gerüche, Düfte, Aromen: Was die Nase wahrnimmt, beeinflusst unsere Empfindungen, unsere Stimmung und auch die Schmerzwahrnehmung. Daher können manche Düfte Personen mit Migräne zu schaffen machen – und andere Schmerzen lindern.

von Von Berit Abel
06.06.2023

Frau riecht an Orange: Mit angenehmen Gerüchen, zum Beispiel dem einer Orange, können Menschen mit Migräne ihr Riechvermögen trainieren. Das kann sich auf den Verlauf der Migräne auswirken.
© Foto: DimaBerlin / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)
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Ein Zusammenhang zwischen Gerüchen und Migräne besteht sicherlich schon so lange, wie Menschen unter Migräne leiden. Allerdings berichten in der Fachliteratur erst seit Anfang der 1980er Jahre Ärztinnen und Ärzte von geruchsgetriggerten Kopfschmerzen oder olfaktorischen Trauminhalten bei einzelnen Patientinnen und Patienten mit Migräne. Auch Osmophobie, also eine Überempfindlichkeit für oder Aversion gegen bestimmte Gerüche oder Düfte, wird vereinzelt als Migräne-Symptom aufgeführt.

2004 wurde Osmophobie in der internationalen Kopfschmerzklassifikation (International Classification of Headache Disorders, ICHD) als alternatives Diagnosekriterium für Migräne ohne Aura aufgeführt. Dass Osmophobie und Geschmacksanomalien für die Diagnose von Migräne sehr spezifisch (aber nicht sehr sensitiv) seien, stellte der Neurologe Dr. Leslie Kelman, Headache Center of Atlanta/USA, in einer im gleichen Jahr veröffentlichten Studie fest. Dennoch ist Osmophobie in der aktuell gültigen ICHD-3 nicht mehr zu finden.

Seitdem wurde die Forschung zu Osmophobie bei Migräne intensiviert und Migräneforscherinnen und -forscher beschäftigen sich unter anderem mit folgenden Fragen: Wie genau beeinflussen Gerüche Migräne? Können Düfte Attacken auslösen? Welchen Einfluss hat die Migräne wiederum auf das Geruchsempfinden? Wie sehen die physiologischen Zusammenhänge aus? Und können diese therapeutisch genutzt werden?

Zahlen und Fakten zu Osmophobie und Migräne
  • Je nach Studie variiert die Prävalenz für Osmophobie zwischen 24,7 und 95,5 Prozent.
  • Der Einschluss von Osmophobie in die ICHD-3-Diagnosekriterien würde die diagnostische Sensitivität um neun Prozent erhöhen. Damit könnten Migräne-Patienten eindeutiger diagnostiziert werden.
  • Zwei Drittel der Patientinnen und Patienten sind während einer Migräneattacke geruchsüberempfindlich; bei einem Drittel werden Migräneattacken durch Gerüche ausgelöst.
  • Migränepatientinnen und -patienten, die zwischen den Attacken geruchsüberempfindlich sind, haben eine höhere Attackenfrequenz und eine höhere Anzahl von geruchsinduzierten Migräneattacken.
  • Bei Patientinnen und Patienten mit chronischer Migräne tritt Osmophobie häufiger auf als bei denjenigen mit episodischer Migräne.
  • Personen mit einer bereits lang bestehenden Migräne und einer höheren Beeinträchtigung durch die Erkrankung haben öfter eine Osmophobie als Patientinnen und Patienten, die noch nicht so lange an Migräne leiden.

Eine Riech-Schmerz-Verbindung

Noch sind nicht alle Details zur Bedeutung von Gerüchen beziehungsweise Osmophobie bei Migräne erforscht, aber es gibt bereits etliche Erkenntnisse, die Impulse für neue Therapiekonzepte wie einem Riechtraining bieten. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass Schmerzen bei einer Migräneattacke und auch Gerüche die Aktivität in der gleichen Hinterhirnstruktur (limbisches System, rostraler Pons) erhöhen. Auch liegen in der Regio olfactoria, also der Riechschleimhaut, Rezeptoren des Schmerz- und des Riechsystems in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander.

Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass eine Reizung des Trigeminusnervs Aktivitäten der olfaktorischen Hirnareale auslöst. „Das trigeminale System ist eng mit dem olfaktorischen System verbunden“, resümiert PD Dr. Gudrun Goßrau vom UniversitätsSchmerzCentrum (USC) des Dresdener Universitätsklinikums im Gespräch mit der Ärzte Zeitung.

„Wird das eine System nach oben reguliert, wird das andere nach unten reguliert. Praktisch bedeutet das bei Migräne: Wenn das Geruchsvermögen, die Riechschwelle, schlechter wird, wird die Empfindlichkeit des trigeminalen Systems – auch für Schmerzen – höher.“ Entsprechend wichtig ist auch die Beobachtung, dass Personen mit Migräne – unabhängig davon, ob sie unter Osmophobie leiden oder nicht – eine höhere Riechschwelle haben als Menschen ohne Migräne. Sie haben ein signifikant schlechteres Riechvermögen als gesunde Personen.

Zudem ist bei Migränepatienten und -patientinnen mit Osmophobie im Vergleich zu jenen ohne Osmophobie das Volumen des Bulbus olfactorius, der oberhalb des Os ethmoidale an der vorderen Hirnbasis liegt, signifikant reduziert. Da ist es wenig hilfreich, dass Migränepatientinnen, deren Attacken durch Gerüche ausgelöst werden, versuchen, diese Gerüche zu vermeiden. Denn so wird ihr Geruchssinn nicht trainiert, was wiederum ihre Riechschwelle erhöht.

Duftstoffe aktivieren N. Trigeminus direkt

Aber würde das nicht bedeuten, dass Personen mit Migräne auch die unangenehmen beziehungsweise Attacken-auslösenden Düfte weniger wahrnehmen? „Ja, aber die meisten Duftstoffe aktivieren auch den Trigeminusnerv direkt, was wiederum zu einer Migräneattacke führen kann“, erklärt die Dresdener Neurologin. Die Duftstoffe werden zwar schlechter als Geruch identifiziert, aber eben doch – zumindest auf neuronaler Ebene – wahrgenommen. Zudem nehmen osmophobische Personen durch das verringerte Riechvermögen auch die angenehmen Gerüche weniger wahr. Diese können aber dem Schmerzempfinden gegensteuern, denn angenehme Gerüche lösen unter anderem eine physiologische und psychologische Entspannung aus.

Und: Mit angenehmen Gerüchen können die Betroffenen ihr Riechvermögen trainieren. Das sei, so Gudrun Goßrau, aus Untersuchungen der Arbeitsgruppe um Professor Thomas Hummel und Professorin Antje Hähner vom Uniklinikum Dresden bekannt.

Riechtraining gegen Migräne

All diese Erkenntnisse hat Gudrun Goßrau mit ihrem Team ausgenutzt, um ein strukturiertes Riechtraining für Patientinnen und Patienten mit Migräne zu entwickeln: Durch die Resensibilisierung des olfaktorischen Systems wird das Schmerzempfinden desensibilisiert.

Das Prinzip ist einfach: Morgens und abends riechen die Patienten an Düften, die sie als positiv empfinden. Etwa 20 Sekunden aktives Riechen, also bewusstes Schnüffeln an einem Riechstift aus einem sogenannten Sniffin’Sticks-Testset, reichen aus. In verschiedenen Studien waren vor allem Orange, Rose und Lavendel bevorzugte Düfte.

Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie vom Team um Gudrun Goßrau mit 68 Migränepatientinnen und -patienten mit und ohne Aura bestätigt, dass die Riechschwelle von Personen mit Migräne schlechter ist als die von Gesunden. Zudem geht aus der Studie hervor, dass die Riechschwelle von denjenigen Migräne-Patienten mit Aura signifikant höher als die der Patienten ohne Aura. Allerdings können Migräne-Patienten mit Aura Gerüche signifikant besser unterscheiden als diejenigen ohne Aura.

Um den Effekt eines Riechtrainings bewerten zu können, wurden die Migränepatienten in eine Trainings- und Kontrollgruppe eingeteilt. Die Trainingsgruppe führte über drei Monate das strukturierte Riechtraining durch (Nervenheilkunde 2022; 41:355). Bei der Trainingsgruppe beobachteten die Dresdener Forscherinnen und Forscher, dass – im Vergleich zur Kontrollgruppe – nach drei Monaten:

  • die Riechschwelle signifikant und so das Riechvermögen verbessert war; ebenso die Diskriminationsfähigkeit. Die Forschung spricht von einem erhöhten Schwellen-Diskriminations-Identifikations(SDI)-Gesamtscore;
  • die Schwelle für die mechanische Schmerz- und Berührungswahrnehmung erhöht war, während bei den Kontroll-Personen die elektrische Schmerzwahrnehmungsschwelle gesenkt war.

Dass keine pharmakologische Intervention für diese Effekte erforderlich ist und dass sie das Riechtraining selbst durchführen können, fänden die Patientinnen und Patienten positiv, erläutert die Leiterin der USC-Kopfschmerzambulanz: „Erfreulich war für sie zudem, dass es mit einem für sie angenehmen Duft funktioniert – ein positiver Nebeneffekt.“

Auch Kinder sollten das Riechen trainieren

In einer anderen Studie konnte das Dresdener Team nachweisen, dass ein strukturiertes Riechtraining bei Kindern und Jugendlichen mit Kopfschmerzen zu einer Desensibilisierung für mechanische Schmerzreize führt. Es zeichnete sich auch der Trend ab, dass die Kinder weniger Akutmedikamente gegen die Kopfschmerzen benötigten (Nervenheilkunde 2022; 41:353).

„Osmophobie ist etwas, das bei Migränepatienten anamnestisch miterfasst werden kann und sollte“, empfiehlt die Neurologin zusammenfassend. Migränepatientinnen und -patienten mit Osmophobie könne daher der Tipp gegeben werden, dass sie regelmäßig an für sie angenehmen Düften riechen sollen. Das gehe auch mit Alltagsdüften oder handelsüblichen Aromaölen.

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