Pränatalmediziner: „Unser Problem ist, dass eine klare Indikation für NIPT fehlt“

Bremen will die Diskussion über nicht-invasive Pränataltests forcieren. Auch Dr. Thomas von Ostrowski vom Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) sieht Handlungsbedarf. Schließlich stehen Ärztinnen und Ärzte vor dem Dilemma: Wann sollten sie NIPT zustimmen und wann nicht?

31.05.2023

Der Umgang mit nicht-invasiven Pränataltests ist auch für Ärzte oft nicht ganz einfach.
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Der Bremer Senat hat mithilfe eines Entschließungsantrages an den Bundesratgemeinsame Regeln für den nicht-invasiven Pränataltest(NIPT) gefordert. Mitte Mai wurde das Thema an den Gesundheitsausschuss der Länderkammer überwiesen. Dort steht es bei der nächsten Sitzung am 31. Mai auf der Tagesordnung.

Seit Juli 2022 ist der nicht-invasive Pränataltest (NIPT) für Schwangere eine Kassenleistung. Er soll Trisomie 13, 18 und 21 erkennen. Der Test kann nur vorgenommen werden, wenn Ärzte und Patientin sich nach gemeinsamer Erwägung dafür entscheiden.

Seit der Erstattungsfähigkeit können alle Frauenärztinnen und- ärzte den Test abrechnen. Im dritten Quartal 2022 wurde der Test, so die jüngsten Zahlen des GKV-Spitzenverbandes, mehr als 50.000 Mal abgerechnet. Weitere Daten liegen noch nicht vor, so der GKV-SV zur Ärzte Zeitung. Doch der Test bleibt umstritten.

Betroffenenverbände halten die Erstattung der Kosten für einen Fehler. Pränatalmediziner sehen das zwar anders, fordern aber Nachbesserungen. Nun will der Bremer Senat genauer hinsehen.

Dies sind die Vorschläge aus Bremen:

  • Der Bundesrat möge die Bundesregierung darum bitten, die Umsetzung des NIPT zu prüfen. Bei diesem Monitoring sollen unter anderem die in der Mutterschaftsrichtlinie geforderte ärztliche Beratung und auch die nichtmedizinischen Beratungsangebote ausgewertet werden.
  • Der Rat bittet die Regierung darum, „ein interdisziplinäres Expert:innengremium einzusetzen, das die rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des NIPT prüft“, heißt es in dem Bremer Antrag. „Das Gremium soll die Bundesregierung fachlich hinsichtlich der Schaffung einer sachgerechten, ethisch verantwortlichen und rechtssicheren Grundlage für das Angebot und den Zugang zu vorgeburtlichen genetischen Tests ohne therapeutische Handlungsoptionen beraten.“

Vermehrt falsch-positive Befunde bei jungen Schwangeren

Grund für die Initiative sei unter anderem die Unsicherheit des Tests. Vor allem bei jungen werdenden Müttern falle er oft falsch positiv aus und erfordere dann Fruchtwasseruntersuchungen, was für die Schwangere ein weiteres Risiko bedeutet. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die werdenden Eltern den Test für sicherer halten als er ist und sich bei positiven Befunden vorschnell zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheiden.

Falle der Test hingegen negativ aus, verließen sich viele Frauen darauf, dass ihr Kind gesund zur Welt komme und verzichteten auf ein Ersttrimester-Screening, das deutlich genauere Ergebnisse als ein NIPT zeigen würde. Die Folge: Immer mehr (sehr belastende) Spätabbrüche, weil Auffälligkeiten viel später erkannt würden.

Erfahrungen aus anderen Länder zeigten, dass wegen dieser Entwicklung immer weniger Kinder mit Trisomie 21 dort zur Welt kommen, wo der NIPT schon länger als Kassenleistung zugelassen ist.

„Langfristig könnte hierdurch die Stigmatisierung von Familien mit Kindern mit Trisomie 21 zunehmen und die Unterstützungsangebote für Kinder mit Trisomie 21 reduziert werden“, so der Bremer Senat. „Auch verringert sich durch entsprechende gesellschaftliche Entwicklungen die Möglichkeit für Schwangere und ihre Angehörigen, sich für ein Kind mit Trisomie 21 entscheiden zu können.“

Wann sollen Ärzte dem Test zustimmen?

In Bremen haben der Landesbehindertenbeauftragte Arne Frankenstein und die Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm die Initiative angestoßen. „Heute ist klarer denn je, dass wir Regelungen für einen rechtlich abgesicherten und ethisch vertretbaren Umgang mit dem Test dringend benötigen“, erklärt Frankenstein. „Das zeigen auch erste Erkenntnisse aus der Praxis in Bremen seit Einführung der Kassenleistung. Den Weg, nun erst einmal den Stand zu evaluieren und dann umfassend interdisziplinär und unter Beteiligung behinderter Menschen Lösungen zu finden, erachte ich für richtig.“

Auch der Pränatalmediziner Dr. Thomas von Ostrowski vom Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) sieht Handlungsbedarf. „Wir haben nichts gegen den NIPT als solchen“, sagt der Dorstener Arzt der Ärzte Zeitung. „Aber unser Problem ist, dass eine klare Indikation für den Test fehlt.“

Wann sollten also die Ärzte dem Wunsch ihrer Patientinnen entsprechen und dem Test zustimmen und wann nicht? Weil das unklar ist, könnten Ärztinnen und Ärzte dem Test womöglich leichter zustimmen, um sich vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen. Die Folge sei, dass im Prinzip jede schwangere Frau den NIPT derzeit ohne tiefere Aufklärung und Information vornehmen lassen könne, sagt von Ostrowski.

Außerdem könnten die Ärzte für die Beratung gerade mal vier Kurzgespräche von je fünf Minuten abrechnen, sagt von Ostrowski. Also: 20 Minuten für eine Lebensentscheidung. „Dieser Rahmen reicht nicht aus!“, so der Pränatalmediziner.

Die Frauen brauchen Zeit, um sich entscheiden zu können

Tatsächlich wurden im dritten Quartal 2022 deutschlandweit genau 52.101 NIPT abgerechnet, so der GKV-Spitzenverband. Von Ostrowski sieht in seiner Praxis an jedem Tag etwa 20 Frauen und spreche mit jeder Schwangeren über den NIPT. In der ganzen Praxis mit drei Ärzten werden täglich drei bis sechs NIPT vorgenommen.

„Die meisten Schwangeren, die einen NIPT vornehmen lassen, kommunizieren ganz klar, dass sie im Falle eines positiven NIPT und einer positiven Fruchtwasseruntersuchung den Schwangerschaftsabbruch wollen“, berichtet von Ostrowski. Der Arzt schätzt aufgrund von Studien aus dem Jahr 2017, dass bei einer Bezahlung durch die Kassen der NIPT in Zukunft von 70 bis 80 Prozent aller Schwangeren wahrgenommen werden wird.

Die meisten Schwangeren, die einen NIPT vornehmen lassen, kommunizieren ganz klar, dass sie im Falle eines positiven NIPT und einer positiven Fruchtwasseruntersuchung den Schwangerschaftsabbruch wollen.

Dr. Thomas von Ostrowski, Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP)

„Die Frau muss sich entscheiden können und dazu brauchen wir mehr Zeit“, sagt von Ostrowski. „Da muss nicht nur der Arzt oder die Ärztin beraten, sondern das können auch andere Berufsgruppen tun, wie etwa Psychosozialberatende.“ Die Frauen, die sehr jung sind und einen Test wollen, müssten verstehen, dass für sie ein auffälliger NIPT zu 55 Prozent falsch positiv ist, sagt von Ostrowski.

Die Möglichkeit ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen, sei bei jungen Müttern also gering, der Test also nicht unbedingt ratsam. Denn da auf jeden auffälligen Befund die Fruchtwasseruntersuchung folgt, würden die jungen Frauen hier ohne Not „ins Risiko geführt“, wie der Arzt sagt.

Dabei sei der Test gerade deshalb eingeführt worden, damit im Zweifel keine Fruchtwasseruntersuchungen mehr gemacht werden müssten, sagt von Ostrowski. „Bei einer Frau von 40 Jahren dagegen bedeutet ein auffälliger Befund eine höhere Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen.“

IQWiG soll Durchführungsfrequenz ermitteln

Der Gemeinsame Bundeausschuss (G-BA) hat den Bewertungsausschuss beauftragt, „die Durchführungsfrequenz der NIPT zu ermitteln“, berichtet von Ostrowski. „Dann werden wir sehen.“

Angesichts der womöglich zu erwartenden hohen Abbruchzahlen melden sich die Betroffenen-Verbände zu Wort. Ärzte dürften nie zu einem Abbruch raten, betont zwar von Ostrowski. Sondern sie dürften nur erläutern, was es bedeuten würde, das Kind im Falle eines positiven Befundes auszutragen.

Aber Wolf-Dietrich Trenner, Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreises Down-Syndrom, bleibt misstrauisch. „Uns erreichen viele Berichte von Eltern, denen das Leben mit Kindern mit Down-Syndrom von den beratenden Ärzten in den düstersten Farben geschildert wurde“, sagt Trenner der Ärzte Zeitung.

„Da wird behauptet, dass die Geschwisterkinder dann nur noch für das Kind mit Down-Syndrom da sein müssen. Down-Syndrom-Kinder werden als existentielle Bedrohung dargestellt, als Ende des freien Lebens.“ Allerdings riefen auch nur die Eltern bei seiner Organisation an, die ihr Kind mit Trisomie 21 austragen wollen, räumt Trenner ein.

Erstattungsfrage spielt für Eltern eine untergeordnete Rolle

Zwar sei es sinnvoll, die Erstattungsregelung vom vergangenen Jahr noch einmal zu überprüfen, meint Trenner. Aber an dem Dilemma, das sich für die Schwangeren mit einem positiven Befund stellt, ändere diese Überprüfung nichts.

Was soll geschehen, wenn sich Vater und Mutter nicht einig sind, ob das Kind mit Down-Syndrom ausgetragen werden soll, fragt Trenner. Schließlich sei die Scheidungsrate in Familien mit behinderten Kindern deutlich höher als im Durchschnitt, so Trenner: „Was ist mit den Geschwisterkindern? Was ist mit Freunden und Verwandten, die dann womöglich fragen: Warum tust du dir das an? Warum willst du nicht abtreiben?“

„Letztlich geht es um die Frage, warum die Gesellschaft nicht entspannter und leistungsbereiter dem behinderten Leben gegenübertritt“, sagt Trenner. Für die betroffenen Eltern spiele die Erstattungsfrage denn auch eine untergeordnete Rolle.

„Egal, ob die Erstattung positiv oder negativ bewertet wird - alle Schwangeren, die bei uns anrufen, sagen, sie hätten den Test auf jeden Fall gemacht“, sagt Trenner. Die Eltern müssen für eine normale Baby-Ausstattung ohnedies wesentlich mehr Geld auf den Tisch legen. Der Test kostet zwischen 150 und 300 Euro.

Quelle: Ärzte Zeitung

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1 Kommentar

04.06.2023 - 22:07 Uhr
Kommentar von

Die Mitglieder im Arbeitskreis Down-Syndrom sind Betroffene und als solche befangen und keinesfalls neutral. Sie sollten höchstens beratend angehört werden, aber sie dürfen nicht für und über andere entscheiden. Hinzu kommt deren Angst vor dem Verlust ihrer Funktionärsstellung etc., je weniger Betroffene, desto weniger Mitglieder, desto weniger Geld, desto weniger Funktionäre und desto weniger ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Freuen sollten wir uns über jedes gesunde und intelligente Kind, wir brauchen Kopf, Hirn und Tatkraft, um die gesellschaftlichen Aufgaben zu stemmen.