Schwangere brauchen bessere COVID-19-Prävention

Das Risiko von COVID-19 in der Schwangerschaft wurde bisher als eher gering eingestuft. Dies hat sich dramatisch verändert. Studien belegen ein hohes Risiko für schwere Verläufe und frühen Tod, vor allem bei Diabetes als Komorbidität. Experten schlagen eine strikte Prävention vor.

von Dr. Helmut Kleinwechter
29.09.2020

Vom Virus abschotten: SARS-CoV-2 ist besonders für Schwangere mit Diabetes eine große Gefahr.
© Foto: Olga Gladiy / stock.adobe.com
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Während der ersten Welle der SARS-CoV-2-Pandemie bis Ende März galten Schwangere als keine besondere Risikogruppe. Zunächst sah es so aus, als gäbe es bei ihnen nur wenige schwere Verläufe, keine Todesfälle und keine intrauterinen Infektionen des Fetus.

Diese anfangs eher milde Einschätzung hat sich mittlerweile dramatisch verändert. Ab April wurden Fallserien aus mehreren Ländern publiziert mit Belegen, dass COVID-19 bei Schwangeren oft deutlich schwerer verläuft als bei Nicht-Schwangeren. Bestätigt wurde dies in einer gut ausbalancierten multizentrische Fall-Kontrollstudie in Frankreich (AJOG 2020; Pre-proof).

Tragödie in Brasilien

Vor allem auch Daten aus dem ARDS-Register des brasilianischen Gesundheitsministeriums belegen eine Tragödie: Von 978 mit SARS-COV-2 infizierten Schwangeren mit Lungenversagen (ARDS) starben 124 intragravide oder postpartal (Mortalität: 12,7 Prozent ). Mangels Kapazitäten konnten viele Frauen weder auf einer Intensivstation invasiv beatmet, noch mit Sauerstoff behandelt werden (J Gynecol Obstet 2020; online 9. Juli).

COVID-19 zeigt eine deutliche soziale und ethnische Disparität. Bei den gestorbenen Frauen lag in 33,8 Prozent ein Diabetes vor im Vergleich zu 20,8 Prozent bei den Überlebenden, die Relation bei Adipositas betrug 21,3 vs. 10,3 Prozent.

Diabetes und Adipositas steigern Risiken

Diabetes und Adipositas sind etablierte Risikofaktoren für schwerere COVID-19-Verläufe. Die US-Centers for Disease Control (CDC) verglichen zwischen Januar und Juni in ihrem Morbiditätsreport zu den Infektionen Daten von 8207 Schwangeren und von 83.205 Nicht-Schwangeren (Morb Mortal Wkly Rep 2020; 69; 769). Besonders häufig betroffen waren Schwangere mit Diabetes (Anteil: 15,3 Prozent bei Schwangeren und 6,4 Prozent bei Nicht-Schwangeren). Aktuell haben türkische Autoren Daten einer multizentrischen Studie vorgestellt: Von 125 infizierten Schwangeren mussten acht auf der Intensivstation behandelt werden, sechs von ihnen starben, was einer Mortalität von 4,8 Prozent entspricht (Eur J Ped 2020; online 10. August). Aus einer Pariser Universitätsklinik stammt zudem erstmals der Nachweis für eine transplazentare Infektion des Fetus mit SARS-CoV-2 (Nat Comm 2020; online 14. Juli).

Der Virusübertritt wurde durch einen Plazentainfarkt und eine Intervillositis gefördert. Das Neugeborene entwickelte am dritten Lebenstag neurologische Symptome mit einer im MRT nachgewiesenen bilateralen Gliose. Allerdings scheint der transplazentare Virusübertritt selten zu sein (Obstet Gynecol 2020; 136: 273).

Mehrere Länder haben Leitlinien geändert

Um Schwangeren mit Diabetes unnötige Infektionsrisiken zu ersparen, haben unter anderen Italien, England, Australien und Kanada temporär ihre Leitlinien geändert. Es ist zu hoffen, dass die zuständigen deutschen Fachgesellschaften diesem Weg für die Dauer der Pandemie folgen werden.

Hierzu gibt es folgende Vorschläge:

  • Entscheidend ist die Prävention. Wichtig ist es, Schwangere nachdrücklich auf die Hygieneregeln hinzuweisen. Für Migrantinnen oder sozial benachteiligte Frauen werden hierfür unterstützende Informationsgrafiken angeboten, etwa vom American Journal of Perinatology.
  • Bei Verdachtssymptomen möglichst schnell auf SARS-CoV-2 testen lassen, gleichzeitig Information von Hausarzt und Gynäkologin. Bei Atembeschwerden sollten sich die Frauen sofort in einer Klinik vorstellen.
  • Für alle Schwangeren mit Diabetes sollte auf telemedizinische Betreuung umgestellt werden, sofern ein Arztbesuch nicht zwingend erforderlich ist. Unterstützende Smartphone-Apps sind bereits in der Erprobung.
  • Für das Screening auf Gestationsdiabetes (GDM) reicht die Nüchtern-Plasmaglukose aus, da ohnehin mehr als die Hälfte aller Fälle mit diesem Wert diagnostiziert werden. Ist der Nüchternwert normal, kann immer noch individuell über die Durchführung eines 2-h-75-g oGTT entschieden werden. Der 50-g Screening-Test sollte ausgesetzt werden.
  • Bei der GDM-Nachsorge, an der schon vor der Pandemie weniger als 50 Prozent der Frauen teilgenommen haben, kann als evidenzbasierte Alternative der oGTT am zweiten postpartalen Tag noch in der Geburtsklinik angeboten werden (AJOG 2020; online 25. Mai). Die Adhärenz liegt dann bei 99 Prozent. Um die Frauen von Termindruck zu entlasten, sollte die erste Nachsorge binnen sechs Monaten nach der Geburt stattfinden.

Aktuell steigen die Infektionszahlen wieder, und die Prognose für den Herbst und Winter ist schlecht: Weil sich dann die Menschen wieder mehr in geschlossenen Räumen aufhalten, steigt das Ansteckungsrisiko. Schwangere und ihre Kinder müssen daher besonders geschützt werden, und zwar vor allem auch Schwangere mit Diabetes – sie haben bei COVID-19 eine besonders schlechte Prognose.

Dr. Helmut Kleinwechter ist Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe, war von 1993-2017 Leiter einer Diabetes-Schwerpunktpraxis in Kiel und ist aktuell als Gerichtsgutachter und in der diabetologischen Fortbildung tätig. Er ist Experte für Diabetes in der Schwangerschaft.

Quelle: www.aerztezeitung.de

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