So schädlich sind Fertiggerichte & Co. auf dem Kinderteller

Je höher der Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel auf dem Speiseplan von Kindern ist, desto stärker nehmen einer finnischen Studie zufolge auch die Adipositasparameter bis zum jungen Erwachsenenalter zu.

von Dr. Christine Starostzik
23.07.2021

Kleines Mädchen beißt in Hamburger
© Foto: Kenishirotie / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodell)
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Das Wichtigste in Kürze

Frage:Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel (UPF) in der Kindheit und einer zunehmenden Neigung zur Adipositas im frühen Erwachsenenalter?

Antwort:Eine höhere UPF-Zufuhr im Kindesalter steht im Zusammenhang mit einem schnelleren Anstieg von BMI, Fettmasseindex, Gewicht und Taillenumfang bis ins junge Erwachsenenalter.

Bedeutung:Um die Zahl adipöser Kinder und Jugendlicher zu verringern, müssen dringend mehr Anstrengungen für eine Reduktion von UPF auf dem Speiseplan von Kindern unternommen werden.

Einschränkung:Im Alter zwischen 17 und 24 Jahren wurden keine Daten erhoben.

Mit dem Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel (ultraprocessed foods, UPF) steigt bei Erwachsenen das Risiko für Adipositas, verschiedene Stoffwechselkrankheiten und einen frühen Tod – so die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen. Doch wie wirkt sich eine solche Ernährungsweise auf die spätere Gesundheit aus, wenn sie bereits im Kindesalter beginnt? In einer prospektiven Geburtskohortenstudie haben Kiara Chang vom Imperial College London und Kollegen jetzt den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von UPF und der Entwicklung einer Adipositas vom Kindes- bis ins frühe Erwachsenenalter verfolgt.

In der Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) wurden 9025 Kinder ab sieben Jahren bis ins Alter von 24 Jahren in Südwestengland zwischen September 1998 und Oktober 2017 median 10,2 Jahre beobachtet. Mit Ernährungstagebüchern dokumentierten die Familien die Nahrungsmittelaufnahme über drei Tage. Daraus wurde der UPF-Anteil der täglichen Nahrung zu Studienbeginn bestimmt und Quintilen (Q1–5) zugeordnet, wobei Q1 als Vergleichsgruppe diente. Dann verfolgten Chang und Kollegen den Verlauf von Body-Mass-Index (BMI), Fett- und Magermasse-Index (FMI, LMI) und Körperfettanteil über die Jahre durch mehrfache Messungen. Die Nahrung wurde in vier Klassen eingeteilt, je nachdem wie stark sie verarbeitet war: Industriell hergestelltes, abgepacktes Brot mit Konservierungsstoffen oder Emulgatoren oder Tiefkühl-Fertiggerichte mit modifizierter Stärke, Stabilisatoren oder Geschmacksverstärkern beispielsweise wurden Gruppe 4 zugeordnet.

Dosisabhängige Zunahme der Adipositasparameter

In der Q1-Gruppe lag der durchschnittliche Anteil an UPF an der täglichen Nahrung bei 23,2%, in Q2 bei 37,4%, in Q3 bei 43,4%, in Q4 bei 52,7% und in Q5 bei 67,8%. Zu den häufigsten UPF-Quellen in Q5 zählten Fruchtsaftgetränke, Softdrinks, Fertigmahlzeiten sowie industriell produziertes Brot und Semmeln. In der Q1-Gruppe hingegen wurden vor allem Wasser, Tee, Milch, Naturjoghurt und Obst konsumiert.

Der durchschnittliche BMI zu Studienbeginn unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen Q1–5. Während der BMI in Q1 allerdings pro Jahr um 0,55 anstieg, war die jährliche Zunahme in Q3, 4, und 5 dosisabhängig signifikant höher (z. B. um zusätzliche 0,06 pro Jahr in Q5 gegenüber Q1). Der FMI nahm in Q5 zusätzlich 0,03, das Körpergewicht 0,20 kg/Jahr und der Taillenumfang um 0,17 cm/Jahr mehr als in Q1 zu. Dabei war in Q4 und Q5 durchgängig eine dosisabhängige Entwicklung bei BMI, Gewicht und Taillenumfang zu beobachten. Im Alter von 24 Jahren hatten Teilnehmer aus Q5 einen um 1,18 höheren BMI als in Q1, der FMI war um 0,78 und der Körperfettanteil um 1,53% größer.

Kinderärzte warnen vor „stiller Pandemie“ in Deutschland

Der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ) zufolge gelten hierzulande zwei Millionen Kinder als übergewichtig, 800.000 davon als adipös. Während der Corona-Pandemie, so die Experten der DGKJ und der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), habe die Adipositas unter den Jüngsten über Monate stetig zugenommen. In Einzelfällen wurden Gewichtszunahmen von bis zu 30 kg in sechs Monaten beobachtet, und diese Rekorde mehren sich. Deshalb sprechen die Kinderärzte bereits von einer zweiten, einer „stillen Pandemie“. 

Gleichzeitig beobachtet man, dass sich bei Jugendlichen deutlich häufiger ein Typ-2-Diabetes manifestiert. Doch laut Susanna Wiegand, Vizepräsidentin der DAG, reichen die Ursachen hierfür wesentlich weiter zurück als in die Zeit der Corona-Pandemie. Diese Entwicklung zeichne sich bereits seit Jahren ab. Deshalb fordert der DGKJ-Präsident Jörg Dötsch politische Schritte, um ein gesünderes Aufwachsen der Kinder zu erreichen. Er plädiert für „verpflichtende und klare Lebensmittelkennzeichnungen, Verbote für Dickmacher-Werbung, die – z. B. auch durch Influencer – speziell an Kinder gerichtet ist sowie eine gut strukturierte Vermittlung von Ernährungskompetenz schon von der Kita an“

Quelle: www.springermedizin.de

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