Symptom Zungenschmerz: Der lange Weg zur Diagnose

Bei Zungenschmerzen ist der Fahrplan für Diagnostik und Therapie meist unübersichtlich, die Strecke beschwerlich, die Aussicht mäßig. Oft weist der Weg in Richtung Psychosomatik. Aber nicht immer.

von Dr. Bianca Bach
11.02.2023

Wenn Menschen mit Symptomen eines Burning-Mouth-Syndroms in die Sprechstunde kommen, ist klar: Oft steht eine komplizierte Differenzialdiagnostik an.
© Foto: © Kevin Carden / stock.adobe.com
Anzeige

Schmerzen oder Brennen auf der Zunge oder im ganzen Mund – wo Hausarzt und Internistin vielleicht an Eisen- oder Vitaminmangel denken und die Dermatologin an Aphthen, Lichen planus, Leukoplakien oder Pemphigus vulgaris, taucht vor dem inneren Auge ängstlich konstituierter Patienten womöglich gar das Schreckgespenst Krebs auf. Dabei liegen oft psychosoziale Einflüsse zugrunde. Dennoch ist die somatische Abklärung der als Glossodynie, Burning-Mouth-Syndrom oder orofaziales Schmerzsyndrom bezeichneten Symptomatik unverzichtbar.

Mitunter muss man dabei Gas geben, denn auch die als Arteriitis temporalis geläufige Riesenzellarteriitis, die häufigste Vaskulitis im höheren Erwachsenenalter, kann sich atypisch mit plötzlichem Zungenschmerz manifestieren. Nächste Station: Nekrosen und große Ulzerationen. Hinzu kommt die bei der Großgefäßvaskulitis immer heranrollende Gefahr einer Erblindung oder eines Schlaganfalls. Das erfordert Weitsicht bei der Diagnostik und Tempo bei der Therapieentscheidung.

Amaurosis fugax als Warnsignal

Wie tragisch es sonst enden kann, schildern Hals-Nasen-Ohren-Ärzte vom Klinikum rechts der Isar in München (HNO 2022; 70: 304): Ein 79-Jähriger, der außer moderatem Bluthochdruck und Hypercholesterinämie nicht vorerkrankt war, wurde wegen seit zwei Wochen bestehender, linksbetonter Zungen- und Gesichtsschmerzen eingewiesen. Im Verlauf waren stärkste Kopfschmerzen hinzugekommen und vorübergehendes Schwarzsehen auf dem linken Auge. Wegen der Glossodynie und Schluckschmerzen hatte er eine Woche lang kaum gegessen.

Ein Zwischenstopp beim Zahnarzt hatte einen unauffälligen Befund erbracht, doch bei Einweisung in der HNO-Klinik hatte sich bereits eine 2 x 3 cm große, einschmelzende Zungenrandnekrose vorne links entwickelt. Der Mann konnte wegen der Schmerzen nur undeutlich sprechen, was die Untersucher als leichte Dysarthrie deuteten.

Hinzu kam ein neuerlicher und nun nicht mehr reversibler Sehverlust am linken Auge. Die Augenärzte diagnostizierten einen Zentralarterienverschluss mit einseitiger Erblindung. Magnetresonanztomografie und Echokardiografie ergaben keine Hinweise auf einen akuten Schlaganfall, eine andere zerebrale Erkrankung oder eine kardiale Emboliequelle.

Mit einer Sturzsenkung von 95 mm/h, einem CRP-Wert von 16,3 mg/dl und über 19 000 Leukozyten/μl waren die Entzündungswerte deutlich erhöht. Eine rheumatologische Konsiliar-Untersuchung, bei der sich in der Duplexsonografie der klinisch unauffälligen Temporalarterien links ein typisches „Halo-Zeichen“ mit moderater Wandverdickung von 0,9 mm sowie ein nicht kompressibles Intimaödem nachweisen ließen, erhärtete den Verdacht auf eine Arteriitis temporalis, die schließlich durch Temporalisbiopsie gesichert wurde.

Die typischen Riesenzellen fehlten zwar, eine fokal floride Vaskulitis mit Intimafibrose und partiellem Lumenverschluss waren aber in Zusammenschau aller Befunde gut mit der Diagnose vereinbar.

Ultraschall bei Vaskulitis wegweisend

Die Manifestation einer Riesenzellarteriitis an der Zunge ist sehr selten. Klassischerweise klagen die über 50–60 Jahre alten Patientinnen und Patienten über starken Schläfenkopfschmerz, Sehstörungen mit Amaurosis fugax oder Doppelbildern und, bei der nicht seltenen Assoziation mit einer Polymyalgia rheumatica, auch über Myalgien im Schulter- oder Beckengürtel. Den Krankheitsbeginn benennen sie oft auf den Tag genau.

Häufig bestehen Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust. Typisch sind die Sturzsenkung und schnelles Ansprechen auf hoch dosierte Glukokortikoide. Damit ist wegen der möglichen Komplikationen rasch zu beginnen. Eine etwaige Temporalarterienbiopsie – meist reicht ein eindeutiger Ultraschallbefund zur Diagnose – sollte die Therapieeinleitung nicht verzögern.

Schon bei Verdacht auf Riesenzellarteriitis ist eine konsiliarische Vorstellung in der Rheumatologie angeraten, um die Diagnose zu sichern und die weitere Therapie zu steuern. Sie erfolgt zur Einsparung von Glukokortikoiden meist mit Tocilizumab, mitunter mit Methotrexat, und darf wegen der Rezidivgefahr keinesfalls zu früh beendet werden.

Diagnostische Alternativrouten

Auch wenn eine Riesenzellarteriitis an der Zunge eine Rarität ist, macht der Fallbericht deutlich, wie wichtig es ist, sie in die Differenzialdiagnostik einer Glossodynie einzubeziehen, um die Patienten vor Schlimmerem zu bewahren.

Andere mögliche Auslöser orofazialer Schmerzsyndrome, bei denen einige Menschen mitunter auch einen metallischen Geschmack im Mund und eine Überempfindlichkeit auf heiße oder scharfe Speisen angeben, sind beispielsweise Hauterkrankungen mit Schleimhautbeteiligung – die dann auch mit sichtbaren Veränderungen einhergehen –, Candida-Infektionen, internistische Erkrankungen wie Diabetes, Anämien, Vitamin-B12 oder Folsäuremangel, Sjögren-Syndrom, Reaktionen auf Medikamente, Nahrungsmittel oder Zahnersatz, neurogene Dysphagie, Trigeminusneurinome und hormonelle Einflüsse (Die Dermatologie 2022; 73:701).

So sind besonders Frauen nach der Menopause betroffen, bei denen die Prävalenz des orofazialen Schmerzsyndroms mit bis zu 18–33 Prozent angegeben wird. Auch wenn rund ein Fünftel aller Menschen sichtbare Veränderungen an der Zunge, etwa eine Landkartenzunge, haben, stört das nur 2,3 Prozent von ihnen.

Spuren an der Mundschleimhaut

Zur Basisdiagnostik gehören kleines Blutbild, TSH, HbA1c, und CRP, ferner kann man Eisen, Ferritin, Folsäure, Vitamin B6, B12, Harnsäure und antinukleäre Antikörper bestimmen.

Bei Inspektion der Mundhöhle ist auf sichtbare Krankheitszeichen und schlecht sitzende Prothesen zu achten, die die Schleimhaut irritieren, ferner darauf, ob jemand mit den Zähnen knirscht oder nachts unbewusst die Wangenschleimhaut zwischen die Zähne saugt. Auf eine solche Morsicatio buccorum deutet eine feine, weißliche Linie an der Wangenschleimhaut hin. Wie das Zähneknirschen kann sie auf eine psychosoziale Belastung und somit auf eine somatoforme Störung hindeuten.

Darauf, dass das psychische Befinden wahrscheinlich eine Rolle beim orofazialen Schmerzsyndrom spielt, deuten Daten aus einer Metaanalyse mit fast 700 Teilnehmern (Cephalalgia 2017; 37: 265). Vor allem bei Angst, Depressionen und Furcht vor Krebs scheint ein Zusammenhang zu bestehen, wobei diese zum Teil auch Folgeerscheinungen der wahrgenommenen Missempfindungen sein könnten.

Wie genau das Brennen im Mund entsteht, ist unklar. Inzwischen mehren sich aus bioptischen Untersuchungen Hinweise, dass auch eine Neuroinflammation mit Small-Fiber-Neuropathie eine Rolle spielen könnte, und Positronenemissions- und funktionelle Magnetresonanztomografien deuten mitunter auf einen Dopaminmangel.

Licht an bei Zungenschmerz!

Eine schnelle Spontanheilung ist nicht zu erwarten, wichtig ist, individuell zu behandeln. Die Evidenz zu randomisiert-kontrolliert getesteten Therapien – von Antidepressiva über physikalische bis zu topischen Behandlungen – ist dürftig.

Einen gewissen Nutzen in den ersten zwei Behandlungsmonaten könnten nach einem Cochrane-Review von 2016 (Cochrane Database Syst Rev. 2016; 11: CD002779) Alpha-Liponsäure, topisches Clonazepam, Capsaicin-Mundspülungen haben sowie Psychotherapie , bei der man vornehmlich auf Verhaltenstherapie setzt.

Neuere Daten gibt es zur Low-Level-Lasertherapie und zur Photobiomodulation (PBM). Bei beiden setzt man darauf, dass Lichtenergie auf die Mitochondrien wirkt und so regenerative Prozesse in Gang setzt. So erhielten in einer Fall-Kontroll-Studie 28 Patienten mit Burning-Mouth-Syndrom neurologischer Ursache entweder eine Schmerztherapie, etwa mit Amitriptylin, Duloxetin, Gabapentin oder Pregabalin, oder über fünf Wochen zweimal täglich eine PBM mit Bestrahlung von neun Triggerpunkten (Antioxidants 2022; 11: 533).

Die PBM bewirkte im Vergleich zur medikamentösen Schmerztherapie bereits nach einem Monat signifikante Verbesserungen bei Schmerz, Funktion und Lebensqualität. Sie blieben über eine Nachbeobachtungszeit von neun Monaten erhalten.

Quelle: Ärzte Zeitung

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *