Taubes Kind kann nach Gentherapie erstmals hören

Durch eine Therapie mit Virusvektoren wurde einem tauben 11-Jährigen mit Gendefekt ein intaktes Gen ins Innenohr appliziert. Er kann nun wieder hören, hat aber das wichtige Zeitfenster zum Sprechenlernen verpasst.

01.03.2024

Schwerhörig: Die Therapieforschung bei Taubheit verursachenden Gendefekten nimmt Fahrt auf.
© Foto: saran / stock.adobe.com
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Bei rund der Hälfte der taub geborenen Kinder liegt die Gehörlosigkeit daran, dass ein oder mehrere Gene nicht funktionieren.Derzeit sind rund 100 Gene bekannt, deren Fehlfunktionen zur Taubheit führen können. Bei einem tauben Kind mit einem solchen Gendefekt ist es jetzt erstmals mit einer experimentellen Therapie gelungen, dass es jetzt seine Umgebung akustisch wahrnehmen kann.

Ein elfjähriger Junge aus Marokko habe in einem Kinderkrankenhaus in der Ostküstenmetropole Philadelphia als erster Mensch in den USA die experimentelle Gentherapie bekommen, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf das Krankenhaus und beteiligte Unternehmen.

Sprache verstehen kann der Junge nicht

Die Therapie bedeutet allerdings nicht, dass der Junge nun Sprache versteht und selbst spricht: Womöglich werde er das nie können, hieß es im Bericht. Das Gehirn hat demnach ein Fenster für das Erlernen von Sprache, beginnend im zweiten oder dritten Lebensjahr. Nach dem fünften Lebensjahr ist es für immer geschlossen.

Der Junge hat dem Bericht zufolge einen sehr seltenen Defekt, und zwar am Otoferlin-Gen, von dem weltweit nur rund 200.000 Menschen betroffen sind. Der Gendefekt verursacht letztlich die Taubheit. Im Zuge der Behandlung wurde das Gen durch eine intakte Version ersetzt, die via Virusvektoren im Innenohr appliziert worden war.

Ergebnisse zu weiteren Behandelten publiziert

Nach Abschluss der mehrmonatigen Therapie habe der Junge nun ein so gut wie normales Hörvermögen, schreibt die „New York Times“. Wenn auch nicht beim Sprechen oder Sprache verstehen, könne das zumindest beim Erfassen von Verkehr oder in ähnlichen Situationen, bei denen es um Aufmerksamkeit für Geräusche geht, hilfreich sein. Auch Musik könne der Junge nun hören.

Derzeit seien weltweit rund ein halbes Dutzend Studien mit solchen Therapien im Gang oder angesetzt, hieß es weiter. So haben chinesische Forscher Ergebnisse an zwei weiteren Kindern vorgestellt (Advanced Science 2024; online 8. Januar).

Versorgung mit Cochlea-Implantat war versäumt worden

Nach dem Erfolg mit dem Elfjährigen wollen die Wissenschaftler die Therapie bei jüngeren Kinder einsetzen. Das Innenohr sei ein kleiner, geschlossener Raum, sodass eine dort eingesetzte Gentherapie keine Auswirkungen auf Zellen in anderen Teilen des Körpers habe, sagte Manny Simons, Geschäftsführer der beteiligten Firma Akouos, der „New York Times“.

Einen geeigneten Kandidaten zu finden, war dem Bericht zufolge aus einem bestimmten Grund nicht leicht: Die meisten Babys, die mit dieser Form der Taubheit geboren werden, erhalten heute im Säuglingsalter Cochlea-Implantate, um hören zu können, und kämen dann für solche Therapiestudien nicht mehr in Frage.

Der behandelte Junge hatte in Marokko keine Schule besucht, erst nach einem Umzug nach Spanien lernte er in einer speziellen Schule in Barcelona die Gebärdensprache, wie es in der „New York Times“ hieß.(dpa/eis)

Quelle: Ärzte Zeitung, dpa

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