Tofu – (k)ein Dieb der Männlichkeit

Tofu verschwindet bald aus den Supermarktregalen – zu diesem Schluss könnte kommen, wer die einschlägigen Online-Foren liest. Immerhin ist die Behauptung, dass Soja Männer weiblicher macht, nicht totzukriegen. Doch woher kommt sie?

12.01.2024

Stück Tofu in einer Schale
© Foto: Claire / stock.adobe.com
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Lässt Tofu Männern Brüste wachsen? Macht Soja unfruchtbar? Mehr als sieben Millionen Google-Treffer für die Wortkombination „Soja Mann“ machen deutlich: Der Mythos um die Sojabohne als Räuber der Männlichkeit hält sich wacker.

Zwei Einzelfallberichte als Begründung

Woher kommt die Annahme, dass sich der aus Soja und Wasser bestehende Tofu auf typisch männliche Körpereigenschaften auswirkt? Außer verschiedenen Studien an Mäusen werden dazu auch immer wieder zwei Einzelfallberichte zitiert: Im ersten Fall war ein19-jähriger Teenager ein Jahr nach seiner Umstellung auf eine vegane Ernährung, inklusive großer Mengen Tofu, Sojasoße, Sojamilch und Sojabohnen (Edamame), von erektiler Dysfunktion und Hypogonadismus betroffen.

Im zweiten Fall beklagte ein 60-Jähriger ebenfalls eine erektile Dysfunktion und eine reduzierte Libido. Zudem hatte der Mann eine Gynäkomastie – seine Brustdrüsen waren beidseitig vergrößert. Begründet sah das Forschungsteam die Symptome des 60-Jährigen in seinem übermäßigen Konsum von Sojamilch von knapp drei Litern täglich. Denn wer so viel Sojamilch trinke, nehme täglich mehr als 300 Milligramm verschiedener Isoflavone zu sich, so die Autoren der Publikation.

Isoflavone aus Soja ähneln Östrogen

Isoflavone sind Phytoöstrogene, sie ähneln in ihrer chemischen Struktur Östrogen und können mit Östrogenrezeptoren interagieren. So können sie die Wirkung endogener Steroidhormone nachahmen, sie aber auch blockieren. Isoflavone sind folglich endokrine Disruptoren, die den Hormonstoffwechsel durcheinanderbringen können. Allzu weit hergeholt scheint die Annahme, dass Soja sich auf die Männlichkeit auswirken könne, also nicht.

Dennoch: In Europa nehmen die Menschen durchschnittlich weniger als zwei Milligramm Isoflavone pro Tag zu sich. Und selbst in Südostasien, wo der Konsum von fermentierten Sojaprodukten wie Tempeh, Miso oder Natto traditionell hoch ist, werden nur bis zu 60 Milligramm pro Tag und pro Person konsumiert, informiert das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung auf seiner Website.

Mit einer Aufnahme von mehr als 300 Milligramm Isoflavone täglich lag der 60-Jährige mit Gynäkomastie also weit über jedem Durchschnitt. Auch der Teenager aus dem ersten Fallbericht vertilgte mit seiner sojalastigen Ernährungsweise etwa 360 Milligramm der Phytoöstrogene täglich.

„Es ist klar, dass eine übermäßige Aufnahme selbst von sehr nahrhaften Lebensmitteln unerwünschte Auswirkungen haben kann“, kommentiert Dr. Mark Messina, ein US-amerikanischer Ernährungswissenschaftler, die beiden Fallberichte in einem Review. Und er gibt zu bedenken: Hätte der 60-Jährige statt Sojamilch eine ähnliche Menge Kuhmilch konsumiert, wäre der obere sichere Grenzwert der Calciumaufnahme deutlich überschritten gewesen. Das hätte zu schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen wie Hyperkaliämie führen können.

Die Isoflavon-Menge macht das Gift

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt in Bezug auf eine übermäßige Einnahme von Isoflavonen: In toxikologischen Untersuchungen zeigte sich, dass Isoflavone, wenn sie in isolierter oder angereicherter Form und hoher Dosierung eingenommen werden, die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen und das Brustdrüsengewebe verändern können. Wie sich diese als östrogenähnlich anzusehenden Effekte langfristig auf die Gesundheit verschiedener Personengruppen auswirken, müsse in Langzeitstudien untersucht werden.

Doch wie sieht es mit einer geringen Menge Isoflavone aus, deren Aufnahme für Menschen mit einer veganen oder vegetarischen Lebensweise durchaus realistisch ist? Schadet der mäßige Konsum von Tofu, Tempeh und Co. der Männlichkeit?

Die kurze Antwort ist: Nein, dies wurde bisher nicht bestätigt. In seinem Review analysierte Messina unter anderem, ob Sojaverzehr das Risiko für eine erektile Dysfunktion erhöhe. Hinweise darauf fand er vor allem in Studien mit Ratten. Diese verstoffwechseln verschiedene Isoflavone allerdings anders als Menschen. Auch hatte Soja bei den Ratten einen Effekt auf den Testosteronhaushalt.

Dies wurde für Menschen jedoch nicht nachgewiesen. Auch die Vermutung, dass Isoflavone die Konzentration von Estradiol und Estron erhöhten – was möglicherweise eine Gynäkomastie auslöse –, wurde bisher nicht bestätigt. Dass sich bei Männern nach dem Verzehr von Soja wirklich die Brustdrüsen vergrößerten, wurde bisher auch nur in Einzelfällen beobachtet.

Soja macht nicht unfruchtbar

Doch nicht nur Brustwachstum und Impotenz: Den ein oder anderen plagt die Sorge, dass sich Soja auf die Fertilität auswirke. Auch dafür gibt es Entwarnung: In einer epidemiologischen Studie war die Spermienkonzentration im Ejakulat durch Soja zwar reduziert, betrug jedoch weiterhin über 20 Millionen pro Milliliter und lag damit oberhalb der Grenze einer Oligospermie, schreibt Messina.

Auch wirkte sich der Sojakonsum nicht auf die Morphologie und Beweglichkeit der Spermien aus. In einer kleinen Interventionsstudie war das Ergebnis sogar, dass Soja gar nicht mit einer niedrigeren Spermienkonzentration assoziiert war. Messinas Fazit ist folglich: „Die klinische Evidenz zeigt in überwältigender Weise, dass es im Wesentlichen keinen Grund zur Besorgnis gibt. Männer können sich sicher sein, dass Soja als Bestandteil ihrer Ernährung weder ihre Potenz noch ihre reproduktive Gesundheit beeinträchtigt.“

Ähnlich äußerte sich auch Prof. Hermann Sebastian Füeßl vom Isar-Amper-Klinikum Haar in der CME-Zeitschrift: „In Populationen und Gegenden, wo der Genuss von Soja seit Jahrtausenden verbreitet ist, wie China oder Japan, wurden keine höheren Raten von Gynäkomastie, Impotenz oder Fettleber beobachtet als anderswo auch. Allein dieser Umstand sollte doch überzeugen.“

Umgekehrt sei der Verzehr von großen Mengen tierischer Proteine, wie er für die westlichen Wohlstandsgesellschaften typisch ist, mit einer Reihe von Erkrankungen assoziiert, etwa Kolonkarzinom, Hypertonie, Übergewicht und Gicht, erinnerte Füeßl. Sein Fazit: „Lassen Sie sich nicht verrückt machen.“

Quelle: Ärzte Zeitung

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