Traum von der Pille für den Mann lebt

Die Forschung zur Pille für den Mann geht weiter. Am weitesten fortgeschritten ist die Prüfung der Kombi Nestoron/Testosteron, die täglich als Gel aufgetragen wird, berichtet Professor Michael Zitzmann im Interview mit der „Ärzte Zeitung“.

von Thomas Meißner
12.10.2020

Die Pille für den Mann statt Kondom? Die Forschung geht weiter.
© Foto: © TanyaJoy / stock.adobe.com
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Ärzte Zeitung: Professor Zitzmann, seit vier Jahrzehnten sind wir nur fünf Jahre entfernt von der Pille für den Mann. Wie viel Jahre sind wir derzeit entfernt?

Professor Michael Zitzmann: Es stimmt, es schien lange so, als ob wir kurz vorm Ziel seien. Schon in den 1990er Jahren war klar, dass das kontrazeptive Prinzip mit wöchentlichen Testosteronspritzen funktioniert. Stand heute würde ich die Prognose nicht abgeben. Die Forschung geht aber weiter.

Worin liegen die Herausforderungen?

Wöchentliche intramuskuläre Injektionen sind wenig praktikabel. Und Testosteron allein funktioniert bei Männern nur zu 75 Prozent. Damit LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikel-stimulierendes Hormon) vollständig supprimiert und damit die Spermienproduktion zu nahe 100 Prozent unterdrückt wird, braucht es zusätzlich ein Gestagen. Die synthetischen Gestagene sind maßgeblich für die unerwünschten Wirkungen verantwortlich.

Das war ein wesentlicher Grund für den Abbruch der von Ihnen geleiteten weltweiten WHO-Studie zur hormonellen Kontrazeption beim Mann.

Wir kombinierten damals ein langwirksames Testosteron mit Norethisteron und spritzten das Präparat alle acht Wochen intramuskulär. Bei jungen Studenten waren die vorangegangenen Sicherheitsstudien ermutigend verlaufen. In der Studie bei 400 Paaren kam es bis zum Studienabbruch zu insgesamt vier Schwangerschaften.

Allerdings traten mit einer Rate von etwa zehn Prozent Nebenwirkungen auf, darunter einige schwere Depressionen, aber auch gesteigerte Libido. In Indonesien war über vermehrte Gewalttätigkeit gegen Frauen berichtet worden. Die WHO-Studienaufsicht wie auch ich haben deshalb 2011 darauf gedrängt, die Studie zu beenden.

Wird das Prinzip weiterverfolgt?

Am weitesten fortgeschritten ist die klinische Prüfung der Kombination Nestoron/Testosteron, die täglich als Gel aufgetragen wird. Im Moment sieht es so aus, dass die Männer keine der beschriebenen Nebenwirkungen haben. Eine US-Arbeitsgruppe prüft die Möglichkeit der Gabe eines experimentellen GnRH-Antagonisten, um die LH/FSH-Ausschüttung zu supprimieren.

Vorteil wäre die lange Wirksamkeit, allerdings muss zugleich Testosteron von außen zugeführt werden. Eine weitere Option ist das synthetische Androgen DMAU (Dimethandrolon-Undecanoat) und andere oral verfügbare Androgen-ähnliche Substanzen, die zusätzlich an den Gestagen-Rezeptor binden können.

Was halten Sie von nichthormonellen Methoden?

Eine private Initiative in Frankreich näht spezielle Slips für Männer, die die Hoden nicht nur eng an den Körper pressen, sondern zurück in den Leistenkanal drücken. Die erhöhte Temperatur in den Hoden soll die Spermienproduktion unterdrücken. In der Schweiz ist ein Samenleiterventil entwickelt worden, das manuell geschlossen und geöffnet werden kann.

Ein ähnliches Prinzip verfolgt eine indische Erfindung, wonach die Samenleiter mit einem zu injizierenden Kunststoffgel verschlossen werden sollen. Problem: Sobald der Samenleiter verletzt wird, werden die Samenzellen dem Immunsystem präsentiert und es bilden sich Antikörper, die die Reversibilität der Kontrazeptionsmethode in Frage stellen.

Weiterhin gibt es ein Medikament, das bei Ejakulation den Spermientransport verhindern soll. Das alles ist interessant, aber durchweg nicht gut in klinischen Studien untersucht.

Woran arbeiten Sie in Münster gerade?

Wir werten Daten und Blutproben aus der gestoppten WHO-Studie aus. Wir versuchen, Subgruppen von Männern zu identifizieren, die eher Nebenwirkungen unter hormoneller Kontrazeption erleben als andere.

Professor Michael Zitzmann

  • Aktuelle Position: Oberarzt am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster
  • Schwerpunkte: Zitzmann forscht seit 20 Jahren zu Zusammenhängen zwischen Fertilität, Genetik, Sexualhormonen und metabolischen Störungen und war Leiter der weltweiten WHO-Studie zur Entwicklung der „Pille für den Mann“

Quelle: www.aerztezeitung.de

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