Vergiftet durch Nahrungsergänzungsmittel

Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln erfolgt teils sehr unbedarft, manchmal nach der Prämisse „viel hilft viel“. So auch bei einem Mann aus England, den eine extreme Überdosierung mit einer Vitamin-D-Intoxikation ins Krankhaus brachte.

von von: Dr. Dagmar Kraus
08.08.2022

bunte Pillen auf blauem Hintergrund
© Foto: Shuo / stock.adobe.com
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Wiederkehrendes Erbrechen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Wadenkrämpfe, Tinnitus, Mundtrockenheit, übermäßiger Durst, Durchfall und ein Gewichtsverlust von fast 13 Kilogramm – das war die lange Liste von Beschwerden, aufgrund derer ein Mann mittleren Alters von seinem Hausarzt ins Krankenhaus überwiesen worden war. Der Mann gab an, seit drei Monaten unter diesen Symptomen zu leiden. Erstmals aufgetreten seien die Beschwerden einen Monat, nachdem er auf Empfehlung eines Ernährungsberaters eine Therapie mit Nahrungsergänzungsmitteln begonnen hatte. Bei Auftreten der Symptome hatte er zwar die Supplementeinnahme gestoppt, die Beschwerden persistierten jedoch.

Der tägliche Cocktail hatte es in sich und umfasste: Vitamin D 50.000 mg, Vitamin K2 100 mg, Vitamin C, Vitamin B9 (Folsäure) 1000 mg, Vitamin B2, Vitamin B6, Omega-3 2000 mg zweimal täglich, Selen, Zink, Picolinat 15 mg, Vitamin B3 50 mg, Super-B12-Komplex 1000 µg, 15%ige Lugolsche Lösung-Pillen, Borax-Pulver, L-Lysin-Pulver 500 mg mit N-Acetyl-Cystein 600 mg, Wobenzym N 400, Axastanthin-Gel 18 mg, Magnesiummalat 1000 mg, Magnesiumcitrat 1480 mg, Taurin 1–2 g, Glycin-Pulver 1 g, Cholin (+ Inositol) 100 mg, Kalziumorotat 1000 mg, Probiotika, Glukosamin- und Chondroitin-Komplex sowie Natriumchlorid.

Extrem hohe Vitamin-D-Werte

Klinisch imponierten wenige Auffälligkeiten, nur eine gering erhöhte Bauchdeckenspannung sowie ein schlechter Ernährungszustand fielen ins Auge. Die Vitalparameter waren physiologisch.

Die Blutuntersuchung offenbarte erhöhte Serumkalziumwerte (3,9 mmol/l) sowie Kreatinin- und Harnstoffspiegel, die deutlich über der Norm (166 µmol/l, 13,4 mmol/l) lagen. Die Magnesiumserumkonzentration betrug 1,04 mmol/l, die Vitamin-D-Konzentration > 400 nmol/l.

Die bakteriologische und parasitologische Untersuchung von Stuhlproben blieben ohne positive Ergebnisse, ebenso die Evaluation der Schild- und Nebenschilddrüse sowie das Zöliakie-Screening. Die morgendlichen Kortisolspiegel waren unauffällig. Schließlich wurden mithilfe der Bildgebung auch maligne Prozesse ausgeschlossen, die für die Symptomatik verantwortlich sein könnten.

Diagnose: Vitamin-D-Intoxikation

Damit stand fest: Der Mann litt an einer Vitamin-D-Intoxikation und Hyperkalzämie infolge der exzessiven Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln. Seine tägliche Ration beinhaltete mehr als 20 aktive Substanzen, wie der Diabetologe und Endokrinologe Alamin Alkundi von der East Kent Hospital University in Canterbury und seine Kollegen betonen.

Den Missbrauch von Nahrungsergänzungsmitteln kenne man vor allem von Sportlern. Doch auch allgemein lassen sich zunehmend mehr Fälle von Hypervitaminose D beobachten. Das Autorenteam unterscheidet in diesem Zusammenhang die Begriffe Hypervitaminose D mit Vitamin-D3-Serumwerten über 250 nmol/l und Vitamin-D-Intoxikation bei Werten über 345 nmol/l, räumt aber ein, dass die Begriffe teils synonym verwendet werden.

Die Studienautorinnen und -autoren betonen, dass eine Vitamin-D-Intoxikation zahlreiche Organsysteme in Mitleidenschaft ziehen kann, wobei die Symptome überwiegend Folge der intoxikationsbedingten Hyperkalzämie sind. Neben neuropsychiatrischen Beschwerden können gastrointestinale, kardiale und renale Symptome auftreten. Arthralgien, Hörverlust und Keratopathien seien ebenfalls im Zusammenhang mit einer Vitamin-D-Intoxikation beschrieben worden.

Mit diesem Fallbericht wollen Alkundi und Kolleginnen die potenzielle Toxizität von Nahrungsergänzungsmitteln hervorheben, die landläufig als sicher gelten. Patienten sollten ermuntert werde, die Einnahme frei verkäuflicher Medikamente wie auch jede alternative Therapie mit dem Hausarzt zu besprechen. Zudem fordern sie eine bessere Aufklärung der Bevölkerung über die potenziellen Gefahren von Nahrungsergänzungsmitteln, um Missbrauch vorzubeugen.

Wie ging es weiter?

In der Klinik wurde umgehend mit einer intravenösen Flüssigkeitstherapie und der Gabe oraler Bisphosphonate begonnen. Nach acht Tagen und einer ausführlichen Beratung durfte der Mann die Klinik verlassen, sollte aber die Bisphosphonattherapie fortführen und seine Blutwerte weiterhin regelmäßig kontrollieren lassen. Zwei Monate nach Entlassung war der Serumkalziumspiegel auf 2,6 mmol/l gesunken, der Vitamin D-Spiegel mit > 400 nmol/l aber nach wie vor sehr hoch. Der Mann blieb bis zur Normalisierung der Serumspiegel unter engmaschiger Kontrolle.

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