Verzögerte Einschulung kann auch Probleme im späteren Leben bedeuten

Die Stichtage für die Aufnahme in die Schule sorgen dafür, dass einige Schülerinnen und Schüler fast ein ganzes Jahr jünger sind als ihre Klassenkameraden. Eine vorzeitige, aber vor allem eine verspätete Einschulung kann noch Jahrzehnte später weitreichende Folgen haben, wie eine aktuelle Studie aus Norwegen und den USA belegt.

von Dr. Nicola Zink
29.08.2023

Grundschüler vor Tafel mit Büchern auf dem Kopf
© Foto: contrastwerkstatt / stock.adobe.com
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Das Wichtigste in Kürze

Frage: Welche Folgen hat eine frühzeitige oder verspätete Einschulung auf die Gesundheit im mittleren Alter?

Antwort: Vor allem zurückgestellte Kinder erkrankten in ihrer Jugend häufiger an psychischen Störungen. Im mittleren Erwachsenenalter lag bei ihnen die Mortalität aufgrund von Suizid und Drogenmissbrauch höher.

Bedeutung: Eine verspätete Einschulung könnte ein Marker für potenziell gefährdete Kinder sein, die zusätzliche Unterstützung brauchen.

Einschränkung: Psychische Störungen und Drogenmissbrauch unterliegen häufig einer hohen Dunkelziffer, zudem wurden sie in dieser Untersuchung erst ab einem Alter von 16 Jahren registriert. Die Daten könnten damit verfälscht sein.

Verzögerungen bei der Einschulung oder während der restlichen Schullaufbahn können mit entwicklungsbedingten, medizinischen und psychiatrischen Erkrankungen in der Kindheit zusammenhängen. Ein vorzeitiger Schuleintritt kann dagegen auf erhöhte kognitive Fähigkeiten oder vermehrte elterliche Ressourcen hindeuten, was auch langfristig positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann.

Eine Studie aus Norwegen und den USA hat sich mit den Langzeitfolgen einer verspäteten oder verfrühten Einschulung beschäftigt. Es wurden nicht nur mögliche psychische Erkrankungen im Jugend- und Erwachsenenalter untersucht, sondern auch die psychische Gesundheit, externalisierende Störungen sowie drogen- und alkoholbedingte Todesfälle und Suizide bis zu einem Alter von 47 Jahren.

Daten von zehn Geburtskohorten analysiert

Das Forschungsteam um Katherine M. Keyes von der Columbia University Mailman School of Public Health in New York hat dafür eine Kohorte von 626.928 Personen aus dem norwegischen medizinischen Geburtsregister (MBRN) der Jahrgänge 1967 bis 1976 evaluiert (Am J Epidemiol 2023; online 5. Mai). In Norwegen wurde man zu dieser Zeit mit sieben Jahren eingeschult und das Schuljahr startete mit dem Kalenderjahr. Für den Jahrgang 1967 bedeutete dies, dass die Kinder am 31. Dezember 1974 eingeschult wurden.

Vergleichsgruppe waren die Klassenkameraden, die zwischen Oktober und Dezember geboren worden waren und ihre Schullaufbahn im regulären Alter antraten. Die Forschenden nutzen für ihre Analysen zusätzlich Daten aus dem norwegischen Register für Todesursachen, dem norwegischen Patientenregister sowie dem Register für Behindertenrenten.

Wichtiger Faktor ist der sozioökonomische Status

1,7 Prozent der Kohorte wurden vorzeitig eingeschult (die meisten davon im Januar geboren), bei 3,7 Prozent war dies später als üblich der Fall (am häufigsten bei im Dezember Geborenen). Bei Mädchen war es wahrscheinlicher, dass die Einschulung beschleunigt wurde, bei Jungen hingegen lief sie häufiger verzögert ab. Bei 24,3 Prozent der Kinder mit gesundheitlichen Problemen wurde der Schuleintritt verschoben. Die Wahrscheinlichkeit, frühzeitig eingeschult zu werden, stieg mit dem sozioökonomischen Status der Eltern an.

Risiken für verspätet Eingeschulte

Keyes und ihr Team beobachteten eine Erhöhung des Risikos für diejenigen, die später eingeschult wurden, für Verhaltens- und emotionale Störungen, Alkohol- und Drogenabusus, ADHS, depressive Störungen, stimmungsbezogene/affektive Störungen und Neurosen im Jugendalter, wobei die Risikozunahme in den adjustierten Modellen von 33 Prozent für depressive Störungen bis 385 Prozent für Verhaltens- und emotionale Störungen reichte. Umgekehrt war eine vorzeitige Einschulung mit einem geringeren Risiko für diese Erkrankungen verbunden, am stärksten war dies bei ADHS zu beobachten, für welches das Risiko um 29 Prozent reduziert war. Störfaktoren, wie der sozioökonomische Status, wurden herausgerechnet.

Auch die Mortalität aufgrund von Suizid, Alkohol- oder Drogenmissbrauch im Alter zwischen 38 und 47 Jahren war mit einer nicht nach Plan verlaufenen Einschulung assoziiert: Bei zurückgestellten Kindern lag das Risiko um 31 Prozent (Suizid), 52 Prozent (alkoholbedingter Tod) und 96 Prozent (Tod wegen Drogenmissbrauchs) höher als bei Schulkameraden, die regelkonform eingeschult worden waren. Personen, bei denen der Schulbeginn vorverlegt worden war, besaßen ein um 25 Prozent, 82 Prozent bzw. 8 Prozent höheres Risiko.

Brauchen verzögert eingeschulte Kinder mehr Hilfe?

„Es ist wichtig anzumerken, dass wir mit dieser Analyse nicht die Schlussfolgerung ziehen möchten, dass eine frühzeitige oder verschobene Einschulung direkt zu gesundheitlichen Problemen im späteren Leben führt“, stellt das Forschungsteam um Keyes klar. Es sei vielmehr wahrscheinlich, dass die Faktoren, die die Selektion für eine Abweichung vom regulären Einschulungstermin vorhersagten, auch mit der psychischen Gesundheit im späteren Leben zusammenhingen.

Die Gründe, warum bei manchen Schülerinnen und Schülern der Schuleintritt hinausgezögert wird, können etwa psychiatrischen Erkrankungen sein, die wiederum die späteren Lebensumstände beeinflussen werden. Ein verspäteter Schuleintritt sei laut Keyes und ihrem Team jedoch ein anhaltender Risikomarker, der noch viele Jahrzehnte nach seinem Auftreten bestünde. Das deute darauf hin, dass Kinder, bei denen sich der Schuleintritt verzögere, möglicherweise eine verstärkte Unterstützung im Bereich der psychischen Gesundheit benötigten.

Quelle: Ärzte Zeitung

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