Viele Krebserkrankungen bleiben unerkannt

In den USA wurden während der Pandemie weniger Krebsdiagnosen gestellt. Auch auf Europa könnte in den nächsten Jahren aufgrund einer Unterversorgung ein Anstieg der Krebstoten zukommen.

von Dr. Nicola Zink
06.10.2021

Ärztin und älterer Mann mit Maske: ©
© Foto: Konstantin Yuganov / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodellen)
Anzeige

Die aktuelle Querschnittsstudie basiert auf den Daten von Krebspatientinnen und -patienten, deren Diagnostik bei dem Unternehmen Quest Diagnostics Inc. durchgeführt wurde, einem führenden US-amerikanischen Anbieter von diagnostischen Tests. Insgesamt acht Krebsarten wurden untersucht: Mammakarzinome (nur bei Frauen), kolorektale, Lungen-, Pankreas-, Zervix-, Magen-, Ösophagus- und Prostatakarzinome. Die Untersuchungszeit von Januar 2019 bis März 2021 wurde in vier Abschnitte unterteilt, eine präpandemische Periode (Januar 2019 bis Februar 2020) sowie drei pandemische Zeitabschnitte: pandemische Periode 1 (März bis Mai 2020), 2 (Juni bis Oktober 2020) und 3 (November 2020 bis März 2021).

In den drei pandemischen Zeiträumen wurden signifikante Rückgänge bei den Krebsdiagnosen verzeichnet. Während der pandemischen Periode 1 ging die durchschnittliche Anzahl neu gestellter Diagnosen aller acht Krebsarten um 29,8% zurück. Die Abnahme war bei jeder der acht Tumorarten signifikant und lag zwischen 21,2% für das Pankreaskarzinom und 36,1% für das Mammakarzinom. Während Periode 2 setzte sich der Trend fort, jedoch weniger stark, die durchschnittliche Patientenzahl pro Monat war um 9,6% vermindert. Während Periode 3 war der Rückgang der Diagnosen pro Monat um 19,1% erneut zu beobachten.

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Wie haben sich die Zahlen der Krebsdiagnosen in den USA während der Corona-Pandemie entwickelt?

Antwort: Die diagnostizierten Neuerkrankungen sind in den USA bei acht verschiedenen Krebstypen signifikant zurückgegangen.

Bedeutung: Viele Krebserkrankungen werden verspätet oder gar nicht entdeckt, die Patienten werden nicht adäquat oder gar nicht versorgt.

Einschränkung: Die Studienautoren konnten auf keine weiteren Daten zu den Patienten zurückgreifen und daher keine Rückschlüsse auf mögliche Gründe ziehen.

Patienten haben Bedenken

Theoretisch müsste der Rückstand, der sich während der Pandemie ergeben hat, irgendwann wieder aufgeholt werden, so die Studienautoren. Doch das sei auch nach einem Jahr Pandemie noch nicht passiert, denn bis März 2020 waren nur Rückgänge bei den Neuerkrankungen zu verzeichnen. Deshalb vermuten sie, dass viele Krebserkrankungen unentdeckt blieben.

„Der signifikante Rückgang der Krebsdiagnosen lässt die Befürchtung aufkommen, dass aufgrund der Pandemie mehr Amerikaner mit nicht diagnostiziertem Krebs leben“, sagte Yuri Fesko von Quest Diagnostics, einer der Autoren der Studie, in einer Pressemitteilung. „In den letzten Jahren haben wir so viele therapeutische Fortschritte in der Krebsbehandlung gemacht, aber wenn ein Tumor nicht diagnostiziert wird, können wir ihn nicht behandeln.“ Deshalb sei es wichtig, dass Patienten regelmäßig vorbeugend tätig werden, einschließlich der Vorsorgeuntersuchungen.

Da die Wissenschaftler keine weiteren Daten zu den Patienten aufrufen konnten, wie etwa Ethnie, sozioökonomischer Status oder Krankenversicherung, konnten sie auch keine Mutmaßungen über mögliche Gründe für die ausbleibenden Diagnosen anstellen.

Situation in Europa

In Europa werden ähnliche Beobachtungen gemacht, weshalb die Europäische Kommission „Europas Plan gegen den Krebs“ vorgelegt hat. Darin heißt es: Die COVID-19-Pandemie sei nicht ohne gravierende Folgen für die Versorgung von Krebskranken geblieben. Prävention und Behandlungen wurden abgebrochen, Diagnosen und Impfungen haben sich verzögert und der Zugang zu Arzneimitteln war erschwert. Seit Beginn der Pandemie ist die Zahl der Krebsdiagnosen gesunken, was einen künftigen Anstieg der Fallzahlen befürchten lässt.

Die Europäische Krebsorganisation (European Cancer Organisation, ECO) stellte fest, dass rund 100 Millionen Krebsscreenings in der EU bereits der Pandemie zum Opfer gefallen seien und eine Million Krebsfälle so nicht diagnostiziert werden konnten. 1,5 Millionen Krebspatienten weniger seien in den Kliniken europaweit im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor der Pandemie vorstellig geworden. Jeder zweite Patient habe erforderliche OPs oder Chemotherapien nicht durchlaufen.

Eine Befragung unter 18 onkologischen Spitzenzentren in Deutschland aus dem letzten Jahr identifizierte ebenfalls Verzögerungen und Verschiebungen in allen Bereichen. Vor allem kam es zu deutlichen Einschränkungen im Bereich der Nachsorge sowie bei der psychoonkologischen Beratung, der Sozialberatung, der Ernährungs- und Bewegungstherapie.

Daten aus Großbritannien zeichnen ebenfalls ein düsteres Bild: Verspätete Diagnosen und Behandlungen in Großbritannien dürften sich dort in den nächsten fünf Jahren in einem Anstieg der Darm- und Brustkrebstoten um 15% beziehungsweise 9% niederschlagen.

Quelle: www.springermedizin.de

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *