Warum Sport dick machen kann

Bei vielen Menschen klappt Gewichtsabnahme mit Sport nur schlecht oder überhaupt nicht. Neue Studien deuten auf die Ursachen: Der Stoffwechsel wird bei Bewegung herunter reguliert und danach wird oft zu viel gegessen.

von Prof. Dr. Stephan Martin
10.11.2021

Kaputt und frustriert: Viele Übergewichtige nehmen beim Sport nicht ab.
© Foto: torwaiphoto / stock.adobe.com
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Auch wenn sich das Leben nach der Coronakrise wieder normalisieren sollte, eines bleibt garantiert zurück: die vielen Kilos an Körpergewicht, die sich die Menschen im „Lockdown“ angefuttert haben.

Übergewicht und Adipositas waren schon vor Corona ein wichtiges Thema. Seit den 1970er Jahren steigt die Zahl Betroffener kontinuierlich an. Als Gegenmaßnahmen werden die Reduktion von Fett- und Zuckerkonsum Mantra-artig gepredigt sowie gesteigerte sportliche Aktivitäten. Doch warum steigt trotzdem das Gewicht meist weiter an? Sind Betroffene so ignorant und halten sich nicht an die Empfehlungen, oder haben die Wissenschaftler einfach Unrecht?

Im Bereich der Ernährung haben neuere Konzepte gute Erfolge gezeigt, bei denen nicht auf den Fettgehalt, sondern auf eine Reduktion von Zucker und Stärke-haltigen Lebensmitteln hingewiesen wird. Doch wie sieht es mit sportlichen Aktivitäten aus? Warum klappt die Gewichtsabnahme mit Sport bei vielen Menschen schlecht oder überhaupt nicht?

Viel Bewegung macht hungrig!

In den vergangenen Jahren sind dazu einige international viel beachtete Arbeiten erschienen. So wurde in einer kontrollierten Studie nachgewiesen, dass Menschen nach dem Sport dazu neigen, mehr Kalorien zu sich zu nehmen als sie mit der Bewegung verbraucht hatten (Am J Clin Nutr. 2019; 110: 583).

Auch wurde eine ganz andere Erklärung vorgeschlagen, warum Sport nicht unbedingt zu einer Gewichtsabnahme führen muss (Curr Biol. 2016; 26: 410 ). Forscherinnen und Forscher um Professor Herman Pontzer von der City University in New York fanden Hinweise, dass der Organismus beim Sport den Verbrauch an Gesamtenergie herunterreguliert. Neben der körperlichen Aktivität und der Thermoregulation, die zusammen etwa

40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs ausmachen, werden 60 Prozent der Kalorien für basale Funktionen wie das kardiovaskuläre System, Verdauungsvorgänge sowie für Leber- und Gehirnfunktionen verbrannt. In einer aktuellen Arbeit haben sie nun zusammen mit einem weltweiten Forschungskonsortium die Hypothese eines kompensatorisch reduzierten basalen Energieverbrauchs bei körperlicher Aktivität weiter analysiert (Curr Biol. 2021; online 26. August).

Energie für Sport wird kompensiert

In einer Studie mit 1754 Teilnehmern zeigte sich, dass im Mittel 28 Prozent der durch körperliche Aktivität verbrannten Energie durch die Abnahme des basalen Energieverbrauchs aufgehoben wurde.

Die Forscher haben zudem den Verbrauch in Abhängigkeit vom Körpergewicht analysiert. Dabei zeigte sich, dass bei Teilnehmern mit dem höchsten BMI nur die Hälfte der durch Bewegung oder Aktivität verbrannten Kalorien wirklich verbraucht wurde. Bei den Probanden mit dem niedrigsten BMI waren es hingegen 70 Prozent.

Anders ausgedrückt: Übergewichtige verlieren durch mehr Bewegung weniger Gewicht als schlanke Menschen. Unklar bleibt allerdings: Neigen die Menschen dazu, mehr Fett anzusammeln, wenn sie die für Bewegung nötige Energie kompensieren? Oder werden sie dicker und der Körper regelt deshalb stärker den basalen Energieverbrauch herunter?

Lieber spazieren anstatt joggen

Angesichts dieser wissenschaftlichen Daten erscheinen die täglichen Berichte von Patienten plausibel, dass sie trotz erheblich gesteigerter körperlicher Aktivität kein Gewicht abnehmen – sie haben vermutlich einfach Recht! Als wichtige Säule der Lebensstil-Änderung wird in vielen aktuellen Programmen zur Gewichtsreduktion empfohlen, die körperliche Aktivität zu steigern. Dabei werden zunehmend digitale Fitness-Tracker verwendet, die den Kalorienverbrauch durch Sport berechnen.

Auf Basis der neuen Daten sollten wir Übergewichtigen aber eher raten, eBike zu fahren und nicht Fahrrad oder Spazieren zu gehen statt zu Joggen. Die Autoren der aktuellen Studie fordern daher, wissenschaftliche Leitlinien entsprechend zu überarbeiten. Denn körperliche Aktivität und Sport können offenbar auch dick machen.

Prof. Stephan Martin ist Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.

Quelle: www.aerztezeitung.de

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