Wie individuell muss ein Rückentraining sein?

Personen mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen scheinen von individualisierten Bewegungstherapien besonders zu profitieren: Eine Metaanalyse findet gewisse Vorteile für die Schmerzreduktion, nur bedingt jedoch für die Alltagsfunktion.

von Thomas Müller
02.01.2023

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© Foto: Martin Allinger / Fotolia
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Das Wichtigste in Kürze

Frage:Was bringt ein individualisiertes Bewegungstraining gegen chronische Rückenschmerzen?

Antwort: Es wirkt im Schnitt etwas besser als ein nicht individualisiertes und deutlich besser als gar kein Training.

Bedeutung: Es könnte sich lohnen, auf ein individualisiertes Training zu setzen.

Einschränkung: Viele Studien mit geringer Qualität.

Rückengymnastik, am besten in Kombination mit einer kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), zählt heute zu den wirksamsten Methoden, um nichtspezifische chronische Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen. Welche Form der Gymnastik bei wem am besten wirkt, ist aber noch recht wenig untersucht. Auch ist nicht klar, ob Therapeuten die Übungen auf die Bedürfnisse der einzelnen Patientinnen und Patienten zuschneiden sollten, oder ob ein bestimmtes Training für alle gleichermaßen infrage kommt. Ein Team um Privatdozent Johannes Fleckenstein von der Sportmedizin des Instituts für Sportwissenschaften in Frankfurt am Main hat nun anhand einer Metaanalyse geschaut, ob sich eine Individualisierung überhaupt lohnt. Die Forschenden haben 58 Vergleichsstudien mit individualisierten Ansätzen gefunden. Diese waren nicht individualisierten kurz- und mittelfristig zumindest bei der Schmerzreduktion überlegen.

Fleckenstein und Mitarbeitende haben gezielt nach randomisiert-kontrollierten Studien gesucht, in denen Personen mit chronischen, nichtspezifischen Lumbalschmerzen behandelt wurden. Es gab also keinen pathoanatomischen Grund für die Schmerzen, auch dauerten diese länger als drei Monate oder es traten mindestens zwei Rückenschmerzepisoden im Jahr auf. Weitere Einschlusskriterien waren Interventionsgruppen mit maßgeschneiderten Bewegungstherapien, sei es über Stratifizierungstools oder andere personalisierte Ansätze, mit oder ohne KVT kombiniert. Zudem musste entweder eine aktive, nicht individualisierte Vergleichsgruppe oder aber eine Gruppe ohne aktive Therapie bestehen.

58 kontrollierte Vergleichsstudien ausgewertet

An den ausgewählten Studien nahmen mehr als 10.000 Rückenschmerzkranke teil, diese waren im Median 45 Jahre alt, der Frauenanteil betrug 56%. Im Mittel dauerte das Training acht Wochen, in der Regel trainierten die Teilnehmer zweimal die Woche rund 50 Minuten. Auf dem Programm standen etwa Pilates, sensorimotorisches Training, Aerobic, Yoga sowie McKenzie- und Rückenschulverfahren. 34 der Studien (58%) kombinierten das Training auch mit psychologischen oder psychotherapeutischen Interventionen. In zwei Dritteln der Studien gab es in der Kontrollgruppe ebenfalls ein aktives, aber nicht individualisiertes Training, in den übrigen zumeist kein Training, sondern nur Verhaltens- oder Bewegungsratschläge.

Die meisten der Studien wiesen jedoch ein hohes Risiko für Verzerrungen auf, hauptsächlich, weil es immer wieder zu Abweichungen bei der Anwendung der Interventionen kam, was sich letztlich auch ungünstig auf die Beurteilung der Evidenz auswirkte.

Signifikante, aber kaum relevante Unterschiede

Dies vor Augen lassen sich aus den Studien einige interessante Aspekte ableiten. So prüften 46 Studien die Schmerzintensität bei relativ kurzer Dauer (maximal drei Monate) des Trainings. Zu Beginn lagen die Schmerzen auf einer visuellen Analogskala in den Interventionsgruppen mit individueller Therapie sowie in den Kontrollgruppen im Mittel bei 4,9 Punkten. Mit individueller Therapie sanken die Schmerzen im Schnitt auf 2,9 Punkte, in den Kontrollgruppen auf 3,6 Punkte. Nach einem Jahr lagen die Werte jeweils bei 3,2 und 3,6 Punkten. Der Behinderungsgrad, bedingt durch die Schmerzen, erreichte anfangs 3,5 Punkte auf einer Analogskala und fiel in der Interventionsgruppe nach drei Monaten auf 2,4 und in der Kontrollgruppe auf 2,7 Punkte, diese Werte waren nach einem Jahr weitgehend unverändert. Signifikant waren die Unterschiede letztlich nur für die Schmerzreduktion.

Betrachtete das Team um Fleckenstein nur die Studien mit aktiver Kontrollgruppe, ergab sich für die Intervention eine relativ geringe Effektstärke (SMD) von 0,28 bezogen auf die Schmerzreduktion nach drei Monaten, aber nicht nach zwölf Monaten. Etwas stärker waren die Effekte einer kurzfristigen Schmerzreduktion mit individualisierter Therapie verglichen mit passiven Kontrollgruppen (SMD = 0,40).

Bei den körperlichen Einschränkungen war die individualisierte Therapie aktiven Kontrollgruppen nach drei Monaten überlegen (SMD = 0,17), erstaunlicherweise nicht aber den passiven. Über ein Jahr hinweg ergab sich jedoch ein Vorteil gegenüber passiven (SMD = 0,20), nicht aber aktiven Gruppen – hier schienen die Resultate etwas widersprüchlich zu sein, was auch an den insgesamt geringen Effektstärken liegen könnte.

Immerhin ließ sich in den meisten Studien mit individuellem Training eine klinisch relevante Schmerzlinderung erzielen (mindestens minus 1,5 Punkte), auch war die Schmerzlinderung um über ein Drittel stärker als mit nicht personalisiertem aktivem Training. Die insgesamt stärksten Effekte ergaben sich bei der Kombination von individualisiertem Training und psychologisch-psychotherapeutischer Intervention.

Was lässt sich nun aus den Resultaten schließen? Eine individualisierte Therapie lohnt sich insofern nicht, als die Unterschiede zu anderen aktiven Trainingsprogrammen klinisch kaum relevant sind. Da eine individualisierte Therapie aber den Bedürfnissen der Erkrankten eher entgegenkomme und letztlich nicht viel aufwändiger sei, könne es sich durchaus lohnen, einen solchen Ansatz zu verfolgen, zumal sich auch langfristig zumindest ein Trend für eine bessere Wirksamkeit ergebe, berichten Fleckenstein und Mitarbeiter.

Quelle: SpringerMedizin.de

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