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Prämolaren-Transplantation zum Ersatz von Frontzähnen

Zahntransplantation kann bei Kindern nach Frontzahntrauma eine Therapieoption sein. Dazu ist die Interdisziplinarität bedeutsam: Die ausführliche Planung und ein engmaschiger mehrjähriger Recall sind ebenso wichtig wie das atraumatisch-chirurgische Vorgehen.

von Dr. Steffi Baxter, Zahnärztin, Göttingen
10.12.2020

Junge ist die Treppe heruntergefallen
© Foto: Brian Jackson / Fotolia (Symbolbild)
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  • Vor allem für junge Patienten nach Zahntrauma stellt die Zahntransplantation eine sinnvolle Therapieoption dar
  • Der ideale Zeitpunkt der Zahntransplantation liegt vor, wenn 50 bis 75% des Wurzelwachstums abgeschlossen sind
  • Das Einlegen des Transplantatzahns in die Nährstofflösung fördert die Revaskularisation und die parodontale Heilung
  • Ein mehrjähriges Recall ist wichtig, um die pulpale und parodontale Heilung zu kontrollieren
  • Die autologe Zahntransplantation stellt, vor allem bei jungen Patienten, nach dentalem Trauma und bei Nichtanlagen eine geeignete und erfolgversprechende Therapieoption dar.
  • Wesentliche Faktoren, die zum Erfolg des Verfahrens beitragen, sind die interdisziplinäre Therapieplanung, eine atraumatische Transplantationstechnik, ein postoperativer engmaschiger Recall zu klinischer und röntgenologischer Kontrolluntersuchung.sowie ge

Hintergrund

Die Zahntransplantation stellt eine Therapiemethode dar, die schon seit Jahrhunderten angewendet wird. Erstmals wurde das Verfahren im 16. Jahrhundert schriftlich dokumentiert. Über die folgenden Jahrhunderte existieren mehrere Berichte über Transplantationen von Tierzähnen oder die Entnahme von Transplantaten bei Bediensteten, aber dann verlor die Zahntransplantation für einen längeren Zeitraum an Bedeutung. Erst zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Behandlungsoption wiederentdeckt und zur autologen Zahntransplantation weiterentwickelt.

Prinzip der autologen Zahntransplantation ist es, einen fehlenden Zahn durch die Transplantation eines Zahns aus einem anderen Bereich des Ober- oder des Unterkiefers eines Individuums zu ersetzen. In den letzten Jahren wurden das Vorgehen und die Technik stark verbessert, sodass die Prognose in der heutigen Zeit als gut bis sehr gut zu beurteilen ist [1-3].

Um eine Zahntransplantation erfolgreich durchzuführen, muss eine interdisziplinäre Planung unter Abwägung der Vor- und Nachteile zwischen den verschiedenen zahnmedizinischen Fachbereichen, Kieferorthopädie, Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie, Endodontologie sowie restaurative Zahnmedizin so- wie unter Umständen auch Parodontologie, erfolgen.

 

Indikationen

Eine Zahntransplantation in das Frontzahngebiet kann bei Nichtanlage eines Zahns indiziert sein. Da ein kieferorthopädischer Lückenschluss, insbesondere bei multiplen Nichtanlagen in einem Quadranten, nicht immer die Therapie der Wahl ist, können die Zahntransplantation oder eine kombinierte kieferorthopädische Therapie mit einer Zahntransplantation gute alternative Optionen darstellen.

Eine weitere häufige Indikation zur Zahntransplantation stellt der Zahnverlust nach einem dentalen Trauma dar: Es erleiden 75% der unter 14-jährigen Patienten ein Frontzahntrauma, bei dem in 76% der Fälle die bleibenden Zähne und in 91% die Oberkieferfrontzähne betroffen sind [4]. Vor allem für junge Patienten ist die autologe Zahntransplantation oft die einzige Option, da bei dieser Patientenklientel eine Implantation oder eine Brückenversorgung kontraindiziert ist.

 

Planung

Frontzähne können durch Prämolaren des Unterkiefers, aufgrund der anatomischen Form idealerweise die ersten Unterkiefer-Prämolaren, durch zweite Prämolaren des Oberkiefers oder durch Milcheckzähne (vor Beginn der Wurzelresorption) ersetzt werden. Je nach kieferorthopädischem Behandlungsbedarf und Stand des Wurzelwachstums wird präoperativ – idealerweise in interdisziplinärer Absprache – entschieden, welcher Prämolar als Transplantat dient und wie die entstandene Lücke in der Transplantatentnahmeregion geschlossen wird. Ziel ist die pulpale Revaskularisation des Transplantats (Tab. 1). Dazu sollten das Wurzelwachstum des Transplantats zu 50 bis 75 Prozent abgeschlossen und das Foramen apicale circa 2 mm im Durchmesser geöffnet sein [5]. Das ideale Alter der Patienten für eine Zahntransplantation beträgt somit zwischen zehn und zwölf Jahre. Ergibt die kieferorthopädische Diagnostik eine Indikation zur Zahntransplantation, ist, neben dem Orthopantomogramm (OPT) und Einzelzahnaufnahmen, die Anfertigung eines digitalen Volumentomogramms (DVT) zur besseren Planung sinnvoll. Anhand dessen kann die Kopie des Transplantats mithilfe eines 3D-Druckers erstellt und statt des Transplantats während der Operation zur Anprobe verwendet werden [6].

Zeitpunkt nach Transplantation Transplantat mir nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum Transplantat mit abgeschlossenem Wurzelwachstum
Woche 1 Zunächst Entstehung einer koronalen Pulpanekrose, ab 4. Tag Beginn der Revaskularisation. Ausbildung eines gingivalen Attachments Entstehung einer Pulpanekrose ohne Revaskularisation. Ausbildung eines gingivalen Attachments
Woche 2-4

Wurzelkanalbehandlung einleiten

Ausbildung einer infektionsbedingten Wurzelresorption bei unbehandelter Pulpanekrose und Defekten des Wurzelzementes
Woche 2-4 Ausbildung einer parodontale Heilung. Ausbildung einer parodontale Heilung.
Woche 2-4 Abschluss der Revaskularisation

Ohne Wurzelkanalbehandlung Entstehung einer Parodontitis apicalis und Infektion des Wurzelkanals

1.-2. Monat Beginn einer Pulpaobliteration. Die Nervenfasern sind regeneriert und funktionstüchtig.

Keine Regeneration der Nerven, keine Pulpaobliteration

ab 3. Monat (meist 6.-8. Monat) Reaktion auf Sensibilitätstest Keine Reaktion auf Sensibilitätstest
ab 4. Monat (bis max. 3 J.) Radiologisch Fortschritt des Wurzelwachstums Kein Fortschritt des Wurzelwachstums

Sollte das Wurzelwachstum bereits zu über zwei Dritteln abgeschlossen sein, wird von vornherein eine endodontische Behandlung des Transplantats geplant, um eine Entwicklung einer Pulpanekrose und daraus folgender Komplikationen zu vermeiden. Die endodontische Behandlung kann vor oder nach der Transplantation vorgenommen werden.

 

Chirurgisches Vorgehen und Nachbehandlung

Vor Beginn einer Prämolarentransplantation in den Oberkieferfrontzahnbereich werden Komposit- oder Zementaufbauten auf die ersten oder zweiten Unterkiefer-Molaren appliziert, um den Biss zu sperren. Dies verhindert, dass der transplantierte Zahn direkt nach der Operation Kontakt zum Gegenkiefer hat. Zunächst wird das Empfängerbett für das Transplantat vorbe- reitet. Befindet sich der nichtzuerhaltende Zahn noch in situ, wird dieser unter Schonung der parodontalen und gingivalen Strukturen entfernt. Besondere Vorsicht ist bei ankylosierten Zähnen nach dentalem Trauma geboten, um Frakturen des vestibulären und palatinalen Knochens zu vermeiden.

Das Transplantatbett muss bei Nichtanlagen oder Zahnverlust neu präpariert und der Größe des Transplantats angepasst werden (Abb. 1, Abb. 2). Dazu können zum Beispiel ein Implan- tatbohrer oder ein Rosenbohrer verwendet werden. Um die Größe des Transplantatbetts richtig festzulegen, wird das zuvor aus Kunststoff gedruckte Zahnmodell zur Anprobe ver- wendet. Dies minimiert das Risiko der Verletzung der paro- dontalen und desmodontalen Fasern sowie der Zellen des Transplantatzahns. Die Größe des Transplantatbettes sollte  ein druckloses Einbringen des Transplantats mit ca. 1 bis 2 mm großem Abstand zu den lateralen Wänden und zum Boden des Transplantatbetts ermöglichen.

Abb. 1 Verlust des Zahns 21 durch Avulsion. Eine Replantation war aufgrund des verloren gegangenen Zahns nicht möglich

Abb. 2 Präparation des Empfängerbetts für Zahn 45, der als Transplantat dient

Der zu transplantierende Zahn muss ebenfalls möglichst scho- nend und unter Erhalt der parodontalen Strukturen entfernt werden. Während die Anprobe mithilfe des gedruckten Mo- dells erfolgt, wird der Transplantatzahn in Dentosafe®-Flüssig- keit (Fa. Medice, Iserlohn) oder miradent SOS Zahnbox®- Flüssigkeit (Fa. Hager & Werken, Duisburg) zur Unterstützung der parodontalen Heilung gelagert [7, 8]. Zur Reduktion der Osteoklastenaktivität an der Wurzeloberfläche und zur Vermeidung von Resorptionen wird das anschließende 15- bis 30-minütige Einlegen in eine Dexamethasonlösung empfohlen (40 μg/ml, [9]). Zusätzlich sollte nach Yanpiset und Trope [10] Tetrazyklin zur Reduktion der Mikroorganismenbesiedlung und zur Förderung der Revaskularisation lokal appliziert werden. Dazu wird das Transplantat unmittelbar vor der Transplantation für 5 min in eine Tetrazyklinlösung gegeben.

Nach abschließender Anprobe des Transplantats wird dieses mithilfe einer adhäsiv befestigten flexiblen Schienung in situ gehalten (Abb. 3). Der Titanium Trauma Splint (TTS; Fa. Medartis, Basel, Schweiz) wird rechts und links an jeweils einem gesunden Nachbarzahn befestigt und für zwei bis sechs Wochen getragen [11]. Dies gewährleistet die ausreichende Stabilisierung des Transplantats sowie gleichzeitig eine phy- siologische Beweglichkeit und beeinflusst die Regeneration von Pulpa und Parodont positiv [12].

Abb. 3 Anbringen eines Titanium Trauma Splint (TTS) nach Insertion des Transplantatzahns

Nach Applikation der Schiene werden Nähte für einen dichten gingivalen Verbund angelegt. Der Patient sollte über circa sie- ben Tage nach der Transplantation ein orales Antibiotikum einnehmen, soweit möglich, eine gute Mundhygiene betreiben und diese durch die Anwendung einer Chlorhexidin(CHX)- Mundspüllösung unterstützen.

Der Zeitpunkt der Schienenentfernung ist abhängig von den Befunden im Periotest, anhand derer die Festigkeit des Trans- plantats beurteilt wird. Die gemessenen Werte sollen in einem

Bereich zwischen null und 25 liegen; Werte unter null deuten auf eine Ankylose hin, und Werte über 25 sind ein Hinweis  auf eine starke parodontale Lockerung und somit unzurei- chende parodontale Heilung. Der transplantierte Prämolar muss palatinal so weit gekürzt werden, dass auch nach Entfer- nung der Kompositaufbauten an den Unterkiefermolaren eine störungsfreie Okklusion möglich ist (Abb. 4). Bei der Eröffnung des Dentins ist eine adhäsive Versorgung der Dentinwunde notwendig, um eine bakterielle Infektion der Pulpa mit an- schließender Pulpanekrose zu vermeiden.

Abb.4 Zahn 21, der von palatinal eingeschliffen wurde

Neben der parodontalen Kontrolle mit Ermittlung der Festig- keit des Transplantats anhand der Periotestwerte wird der Verlauf der pulpalen Revaskularisierung durch regelmäßige Sensibilitätstests mithilfe der Kälteapplikation oder eines elektrischen Pulpatests kontrolliert. Eine positive Reaktion  auf den Kältetest ist frühestens ab dem dritten Monat (meist im sechsten bis achten Monat) zu erwarten (Tab. 1).

Nach vollständiger parodontaler Einheilung des Transplantats in der Empfängerregion wird der Zahn durch eine Komposit- restauration zu einem Frontzahn umgeformt. Dazu bietet es sich an, ein Wax-up zu erstellen und dieses mithilfe eines Sili- konabdrucks mit Komposit in den Mund des Patienten zu übertragen (Abb. 5).

a

b

Abb. 5 Umformung des Zahns mithilfe von Komposit. a Aufsicht, b Frontalansicht

Recall und Prognose

Nach vollständiger parodontaler und pulpaler Heilung des transplantierten Zahns sowie ästhetischer Rekonstruktion mit Komposit ist die langjährige Verlaufskontrolle zur Beurteilung des langfristigen Therapieerfolgs notwendig. Dazu sollten im ersten Jahr nach der Transplantation vierteljährlich klinische und röntgenologische Kontrollen mit klinischer Untersuchung, Sensibilitätstest und Erstellung von Einzelzahnaufnahmen durchgeführt werden (Abb. 6).

Erfolgskriterien sind Beschwerdefreiheit und eine reizlose klinische Situation, eine positive Reaktion auf den Sensibilitätstest oder eine röntgenologisch erkennbare Kalzifikation des Wurzelkanalsystems und ein gesundes periapikales Gewebe. In einigen Fällen kann es apikal zum Einwachsen von Knochen(-ähnlichem) Material in den Pulpahohlraum kommen.

Dies wird nicht als Misserfolg bewertet. Die Festigkeit des Transplantats muss zusätzlich regelmäßig anhand der Periotestwerte erhoben und bewertet werden. Bei Anzeichen einer Pulpanekrose mit oder ohne Parodontitis apicalis ist zeitnah eine Wurzelkanalbehandlung einzuleiten. Die Erfolgsraten der Zahntransplantation betragen zwischen 70 und 100% [1–3].

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