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Empfindliche Zähne: Dentale Hypersensibilität

Schmerzempfindliche Zähne sind ein anhaltendes klinisches Problem, das eine große Herausforderung für das zahnärztliche Team darstellt und die Lebensqualität der Patienten drastisch beeinträchtigt. Ein besseres Verständnis für die Ursachen der Schmerzempfindlichkeit, ihre Diagnostik und Therapiemöglichkeiten soll Hilfe für Betroffene bieten. [1].

von Ester Hoekstra | (Lehr-) Dentalhygienikerin, Ernährungscoach M.Sc. psychologische Medizin | info@e-denta.de
07.02.2024

grafische Darstellung Zahn mit Blitzen
© Foto: piyaset / Stock.adobe.com
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Schmerzempfindlichkeit der Zähne ist ein Symptom, über das sich Patienten häufig in der Zahnarztpraxis beklagen. Es kann Patienten beim Essen, Trinken und Zähneputzen stören und hat Auswirkungen auf die Mundgesundheit und Lebensqualität. Die Schmerzempfindlichkeit ist häufig durch eine Dentinhypersensibilität bedingt. Dentinhypersensibilität ist definiert als ein kurzer, stechender Schmerz, der normalerweise als Reaktion auf thermische, verdunstungsbezogene, taktile, osmotische oder chemische Reize entsteht und keiner anderen Zahnerkrankung zugeschrieben werden kann. Zervikale Dentinhypersensibilität, empfindliche Zahnhälse, hypersensible Zahnhälse oder sensible Wurzeloberfläche sind Bezeichnungen, die alle für dasselbe Beschwerdebild verwendet werden.

Die Entwicklung von Dentinhypersensibilität wurde auf offene Dentintubuli zurückgeführt, die auf den Verlust der Zement-, Schmier- und/oder Häutchenschicht der zervikalen Wurzeloberflächen zurückzuführen ist. Dentinhypersensibilität wurde in der modernen Literatur als eine schnell induzierte Schmerzreaktion auf einen Reiz durch Luft, Kälte, Berührung, elektrische Impulse, Säureeinwirkung oder eine Kombination dieser Reize am Dentin im zervikalen Bereich des Zahns beschrieben [2].

Tab. 1: Mögliche Ursachen der Schmerzempfindlichkeit und deren Definition

Ursache Definition
Abrasion Zahnhartsubstanzverlust infolge mechanischer Reibung
Erosion Zahnhartsubstanzverlust infolge von Säureeinwirkungen
Abfraktion Keilförmiger Defekt am Übergang vom Zahnschmelz in das Zahnbein
Durchgeführte PAR Zahnfleischrückgang nach durchgeführter Parodontitisbehandlung
MIH Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation
(Initiale) Karies Multifaktorielle Erkrankung der Zahnhartsubstanz
Bleaching In-Office-Zahnaufhellung

Ätiologie

Den im Mund sichtbaren Teil des Zahns bezeichnet man als Zahnkrone und den im Kiefer steckenden, nicht sichtbaren Teil als Zahnwurzel. Der meist fließende Übergang zwischen Zahnkrone und Zahnwurzel ist der Zahnhals. Die Zahnkrone besteht aus Schmelz, Dentin und Pulpa. Der Schmelz setzt sich aus anorganischen Komponenten (ca. 95%; hauptsächlich Hydroxylapatit Ca5[OH|(PO4)3]), organischen Bestandteilen (Proteine) und Wasser zusammen [3]. Die Hydroxylapatitkristalle bilden Prismen, die eng aneinander liegen. In den Zwischenräumen können Ionen aus der Mundhöhle abgelagert werden, wie etwa die Fluoridionen, die den Schmelz vor Demineralisation schützen. Durch die Einlagerung von Fluoridionen in den Schmelz wird der Schmelz resistenter gegen Säureangriffe. Schmelz ist die härteste Substanz des Körpers, er kann Fluoridionen aufnehmen, wird aber nach Zahndurchbruch nicht mehr neu gebildet. Seine Oberfläche ist schmerzunempfindlich. Dentin befindet sich unter dem Schmelz und besteht aus organischen (ca. 20%; Kollagen, Nicht-Kollagen-Matrix und Wasser) und anorganischen Bestandteilen (ca. 70%; Kalzium, Phosphat usw.). Im Dentin sind mit Flüssigkeit gefüllte Kanälchen (Dentintubuli), die zur Pulpa führen; aus der Pulpa ragen Odontoblasten und Nervenendigungen in das Dentin. Zu den wichtigsten Eigenschaften des Dentins zählen, dass es die Hauptmasse des Zahns ausmacht, aus Zahnschmelz besteht und schmerzempfindlich ist.

Dentinsklerose: Einengung der Wandbekleidung der Dentinkanälchen

Reparatives Dentin: tetiäres Dentin, das nach einem Trauma aus dentalen Stammzellen und Vorläuferzellen gebildet wird

Odontoblastenprozess: Produziert und Sezerniert das Prädentin, später die Mineralisation des Dentins

Die Gingiva ist ein Teil des Parodonts, die darin enthaltenen Sharpeyschen Fasern dienen zur Verankerung der Zähne und sie bildet einen Teil der Mundhöhle. Die Gingiva bietet außerdem einen Schutz vor äußeren Reizen. Eine klinisch gesunde Gingiva ist blassrosa, liegt fest am Zahn an und blutet nicht bei Sondierung. Als weitere wichtige Struktur ist das Wurzelzement zu nennen. Das Wurzelzement bedeckt die gesamte Zahnwurzel. Es geht anatomisch zum Zahn, funktionell gehört es zum Zahnhalteapparat. Das Wurzelzement bedeckt die gesamte Zahnwurzel und die Wurzelhautfasern sind darin lokalisiert. Das Zement wird von der Schmelz-Zement-Grenze zum Apex hin immer dicker [3]. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Dentinhypersensibilität bei nichtkariösen zervikalen Läsionen durch freiliegende Dentintubuli an der Dentinoberfläche verursacht wird. Gewöhnlich wird die Freilegung des Dentins im zervikalen Bereich durch drei Faktoren verursacht: Abrasion, Erosion und Abfraktion [4], auch wenn nicht immer diese Prozesse eine Schmerzempfindlichkeit der Zähne verursachen. Darüber hinaus neigen Personen mit einem dünnen Zahnfleischphänotyp (d. h. mit einem schmalen Band keratinisierter Gingiva) dazu, mehr Biofilm anzusammeln, und werden daher anfälliger für Zahnfleischrückgang und anschließende Dentinfreilegung (Abb. 1-3).

Der Schweregrad der Schmerzempfindlichkeit hängt von den Eigenschaften des freiliegenden Dentins ab, d. h., nicht jede Freilegung des Dentins führt zu einer lokalen Überempfindlichkeit. Das Vorhandensein einer Schmierschicht, das Ausmaß der peritubulären Dentinsklerose und das lokale Ausmaß des reparativen Dentins können die Durchgängigkeit der Dentintubuli verändern und so den Flüssigkeitsfluss und die Stimulation des Odontoblastenprozesses verringern. Das bedeutet, dass es dadurch zu einer Änderung der Stimulidurchlässigkeit kommen kann und dementsprechend weniger Sensibilitäten entstehen.

Ein Großteil der aktuellen Meinungen zur Dentinhypersensibilität basiert eher auf evidenzbasierten Annahmen als auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die aktuelle Theorie besagt, dass empfindliches Dentin auf dem reizinduzierten Flüssigkeitsfluss in den Dentintubuli und der daraus resultierenden Nozizeptor­aktivierung im Grenzbereich von Pulpa und Dentin beruht. Es wird angenommen, dass myelinisierte Fasern zwischen den Tubuli (Aβ- und einige Aδ-Fasern) auf Reize reagieren, die die Flüssigkeit in den Dentintubuli verdrängen, was zu den charakteristischen kurzen, scharfen Schmerzen einer Dentinhypersensibilität führt. Diese Art der Flüssigkeitsbewegung kann durch Messung der hydraulischen Leitfähigkeit des Dentins nachgewiesen werden. Daher hat Dentin mit einem hohen Leitwert einen niedrigen Widerstand und umgekehrt. Humanstudien haben gezeigt, dass die Durchgängigkeit der Dentintubuli ein wichtiges Merkmal von empfindlichem Dentin ist, mit einer signifikant positiven Korrelation zwischen der Dichte der Tubuli und den Schmerzreaktionen, die durch freiliegende zervikale Dentinoberflächen hervorgerufen werden [5].

Über etwaige Pulpaveränderungen, die mit Sensibilitätsschmerzen einhergehen, wurde in der Wissenschaft viel diskutiert. Der Status der Pulpa bei Dentinhypersensibilität ist nicht bekannt, obwohl die Symptome aufgrund ihrer langen Dauer darauf schließen lassen, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine akute oder chronische Entzündung vorliegt. Die meisten Untersuchungen berichten über keinen Zusammenhang zwischen Pathologie und Symptomen. Weitere Studien an extrahierten Zähnen lieferten überzeugende Beweise für diesen Zusammenhang, wobei empfindliche Zähne im Vergleich zu nichtempfindlichen bis zu achtmal mehr und auch zweimal breitere Tubuli im bukkalen Halsbereich aufwiesen. Darüber hinaus wurde nur bei empfindlichen Zähnen ein Eindringen von Farbstoff in die Pulpa beobachtet. Der Farbstoff wird eingesetzt um die Reizweiterleitung nachzuvollziehen.

Kürzlich wurden neue Erkenntnisse gewonnen, die eine mögliche wichtige Rolle der Odontoblasten im Schmerzmechanismus der Dentinhypersensibilität belegen. Die Odontoblasten sind eng mit den Nervenenden verbunden, und biologische Signale werden wahrscheinlich von den Odontoblasten an die Axone und umgekehrt weitergeleitet. Eine sensorische Wahrnehmung von Schmerzen (Innervation) findet nur in Dentintubuli mit lebensfähigen Odontoblasten statt, die ihre Säulenform beibehalten [5].

Behandlung

Es gibt verschiedene Ursachen von Dentinhypersensibilität. Die bekanntesten sind Karies, Erosion, Abrasion, Abfraktion, Parodontitis, Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation und Bleaching (Tab. 1). Diagnose und Behandlung der Dentinhypersensibilität sind aufgrund deren multifaktorieller und gelegentlich multiätiologischer Natur komplex. Eine große Herausforderung in der Behandlung ist die Subjektivität der individuellen Schmerzwahrnehmung. Auch das Vorhandensein von Störfaktoren wie Ernährung, Hygiene, Rauchen und parafunktionellen Gewohnheiten sowie die Gesundheit der Pulpa und des Parodonts können die Diagnostik und Behandlung der Dentinhypersensibilität erschweren (Abb. 4) [16].

Abb. 4: Checkliste für mögliche Ursachen der Dentinhypersensibilität und die bestmögliche Behandlung

Abb. 4: Checkliste für mögliche Ursachen der Dentinhypersensibilität und die bestmögliche Behandlung
© Foto: Springer Medizin Verlag GmbH

Die therapeutischen Modalitäten können in zwei unterschiedliche Ansätze zur Behandlung offener Dentintubuli unterteilt werden. Bei dem ersten Ansatz handelt es sich um lokale oder systemische Behandlungen, die darauf abzielen, die eigentlichen Schmerzsymp­tome zu beruhigen oder zu lindern. Die zweite Möglichkeit ist ein mechanischer Ansatz, bei dem die Tubuli abgedichtet werden sollen. Hierbei kann weiter unterteilt werden nach dem Einsatz rein mechanischer Blockiermittel (Lacke und Versiegelungen) oder solcher Mittel, die die Remineralisierung und/oder das Verstopfen der Tubuli fördern, eine weitere Demineralisierung verhindern oder tatsächlich Mineralien im Tubulus ablagern sollen. Betäubende Mittel, wie Anästhetika und Anästesie-Gele, können sowohl bei der anfänglichen mechanischen Verstopfung als auch beim langfristigen Remineralisierungsprozess eine Rolle spielen. Die häufigste medikamentöse Behandlung ist die Zugabe von 5% Kaliumnitrat oder Kaliumcitrat zu Zahnpasta. Beide Substanzen zeigten eine klinische Wirksamkeit, wenngleich die Wirkungen unterschiedlich ausfielen. Kalziumprodukte, wie zum Beispiel Kalzium-Zahnpasten, werden seit Jahrzehnten empfohlen, wobei Analysen von In-vitro-Daten eine Verengung der Tubuli bei Behandlung mit Kalziumhydroxid belegen. Anfang der 1990er-Jahre wurde ein Produkt auf der Basis von amorphem Kalziumphosphat (ACP) in den Handel gebracht. Das Cremepräparat, dass abends auf die Zähne appliziert wird - bekannt als Tooth Mousse und MI-Paste - enthielt Natriumfluorid, Kalziumsalze und Phosphatsalze [17].

Auch bei Zahnaufhellungsbehandlungen können Dentinhypersensibilitäten auftreten, wo auch der Speichel und die Pufferkapazität eine große Rolle spielen (Abb. 5 und Abb. 6). Speichel hat mehrere Funktionen bei der Verhinderung der Demineralisierung und bei der Förderung der Remineralisierung. Zu diesen Funktionen gehören die Pufferung von Säuren mithilfe von Bikarbonat, Speichelproteinen und Kalziumphosphat sowie die Verdünnung erosiver Wirkstoffe. Eine Verbesserung der Speichelfunktion könnte also auch ein Behandlungsansatz sein. Die lokale Applikation von Kaliumnitrat vor und nach Bleaching kann laut einer Studie die Hypersensibilität verringern [18]. Die Zahnaufhellung wurde durch die lokale Applikation nicht beeinflusst.

Verschiedene Behandlungsmodalitäten werden in der klinischen Routine von Zahnärzten direkt angewendet oder für den Heimgebrauch verschrieben. Etwa 50 % der Zahnarztpraxen berichten von einem Mangel an Vertrauen der Patienten in die Behandlung der Dentinhypersensibilität-bedingten Schmerzen [19]. Viele Zahnärzte empfehlen eine Reihe unterschiedlicher Modalitäten für die Behandlung von Dentinhypersensibilität in der Praxis. Die von den Zahnärzten am häufigsten empfohlene Behandlung ist die Verwendung einer rezeptfreien ("over the counter" [OTC]) desensibilisierenden Kaliumnitrat-Zahnpasta, allein oder in Kombination mit anderen Behandlungen. Dieses Regime wird bei ca. 50 % der Patienten empfohlen, gefolgt von der Anwendung von Fluoridlack (28 %) und einer Behandlung, die als "andere" kategorisiert wurde, einschließlich desensibilisierender OTC-Streifen bei 21 % der Patienten mit Dentinhypersensibilität. Die Verschreibung von Fluoridzahnpasta wird bei 17 % empfohlen. 8 % der Patienten wird eine restaurative Behandlung nahegelegt [19]. Zusammenfassend kann man sagen, dass desensibilisierende rezeptfreie Kaliumnitrat-Zahnpasta und Fluoridprodukte zurzeit die am häufigsten empfohlenen Produkte zur Behandlung von Dentinhypersensibilität in der Praxis sind (Abb. 7). Beispiele für beliebte Desensibilisierungsmittel in Form von Fluoridlacken sind r-Provanish (VOCO, Cuxhaven) und Duraphat (CP GABA, Hamburg). Andere In-Office-Desensibilisatoren sind GLUMA-Produkte (Heraeus Kulzer, Hanau), Sensodyne MultiCare Zahnpasta (GlaxoSmithKline/Haleon, Weybridge, England), Elmex Sensitive Professional (CP GABA, Hamburg), MI Paste (GC, Bad Homburg) und Bifluorid (VOCO, Cuxhaven) [19, 20, 21] .

Abb. 7: Die am häufigsten empfohlenen Behandlungen gegen 
Dentinhypersensibilität

Abb. 7: Die am häufigsten empfohlenen Behandlungen gegen Dentinhypersensibilität
© Foto: Springer Medizin Verlag GmbH

In einer Metaanalyse konnte ein alternativer Therapieansatz herausgestellt werden: Der Einsatz eines Low-level-Lasers in der Therapie von Dentinhypersensibilität führte dazu, dass die von Patienten berichteten durchschnittlichen Schmerzen nach 3-monatiger Nachbeobachtungszeit im Vergleich zu den durchschnittlichen Schmerzen vor der Behandlung mit der Lasertherapie geringer waren. Die Verbesserung der Lasertechnologie hat dazu geführt, dass die Lasertherapie als neue Behandlungsalternative für Dentinhypersensibilität in Erwägung gezogen werden kann [22]. Wichtig bei diesem Therapieansatz sind die vorausgehende Anamnese und Diagnose sowie die Präferenzen der Praxis.

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